Betriebswirtschaft: Seit dem 2. Januar hat Firmenchef Herbert Huber ein neues Leben. Das Universum spricht zu ihm. Echt!

Es ist 4 Uhr 30. Eigentlich klingelt der Wecker erst in einer Stunde. Aber Herbert Huber ist bereits hellwach. Wie so oft an Tagen, an denen es ihm vorkommt, als müsse er zehn Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Überfordert fühlt sich der Firmenchef, Ehemann und Vater einer renitenten 15-Jährigen schon seit Monaten. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, also macht Huber, was er seit dem 2. Januar morgens jetzt immer macht: Er setzt sich an den Küchentisch, schlägt die Bibel auf und versucht, einen Abschnitt zu lesen und lebensnahe Dinge zu notieren, die ihm bei der Lektüre auffallen. Es ist eine rein intellektuelle Übung, die er selbst wohl als Meditation bezeichnen würde, und die ihn innerlich unberührt lässt. So auch heute Morgen.

(Lesezeit: 7 Minuten)

Aber Huber zieht das durch. Mit eiserner Disziplin greift er zur Bibel statt zu Tablet und Handy. Er trinkt dazu einen kalten Matcha-Tee mit Ingwer – eines der Rezepte seines Kardiologen. Huber ist kein Glaubensheld, im Gegenteil. Er ist sich nicht sicher, ob es den Gott gibt, in dessen Furcht ihn seine gestrengen Eltern erzogen – oder dressiert? – hatten.

Trotzdem hat er den Eindruck, dass ihm die neue Morgenroutine hilft, Ordnung in sein Leben zu bringen und das Richtige zu tun. Ist das Gottes Reden? Antwortet ihm das Universum? Handelt es sich um Autosuggestion? Huber, ein promovierter Astrophysiker, weiss es nicht. Trotzdem tut er diesen Morgen genau das, was er sich in der Sylvesternacht vorgenommen hatte. 

(Bild: Mircea Iancu auf Pixabay)

Duschen und Danken

Phase 2: Unter der Dusche dankt er Gott beziehungsweise dem Universum für ein, zwei Dinge, die ihm gerade einfallen. Ein Dankbarkeitsritual, zu dem einen heute ja jeder Selbsthilferatgeber anhält: Huber dankt – wer weiss wem –, dass seine Tochter, ein ihm gänzlich fremd gewordenes Wesen, gestern so etwas wie eine Konversation mit ihm geführt hat. Und das auch noch auf eigene Initiative. Und dass die osteuropäischen Cyberkriminellen, welche die Server seines Unternehmens Mitte Januar mit Überlastungsangriffen – sogenannten DDos-Attacken – lahmgelegt hatten, offenbar das Handtuch geworfen haben. Hubers Firma war nicht auf deren Forderungen nach einer Zahlung in der Kryptowährung Monero eingegangen. Nach dem Dankbarkeitsritual stellt der Unternehmer während einer Minute das Wasser auf ganz kalt – das ist der härteste Teil seines neuen Lebens.

 

Marschieren und Hören

Euphorisiert vom Dopaminschub zieht sich Huber an und trinkt noch einen ungezuckerten, milchfreien Kaffee mit Ceylon Zimt – Kalorien gibt es in seinem neuen Leben erst ab Mittag. Er verlässt leise das Haus – alle anderen schlafen noch. Nun kommt der dritte Teil seiner Morgenroutine: Ein 35-minütiger Fussmarsch ins Büro. Ideengeber dafür war einmal mehr sein Kardiologe. Noch im Dezember nahm Huber jeweils das Tram zur Arbeit, mampfte dazu einen Donat und hörte Schawinski-Radio. Nun geht er trotz Eiseskälte zu Fuss, verzichtet auf jede Form von Beschallung und ist offen für Eindrücke – von Gott oder dem Universum.

 

Gedanken zur Firma

Diesen Morgen, es ist noch zappenduster draussen, schiessen ihm zwei Gedanken durch den Kopf, ganz so, als handle es sich um Handlungsanweisungen: Ja, er solle auf den Vorschlag seiner IT-Chefin eingehen und die gesamte Informatik der Firma in die Cloud eines US-Konzerns verlegen: Das ist kostspielig, zumal die eigenen Server noch nicht abgeschrieben sind. Und wenn man seine Daten einmal in einer solchen Cloud hat, kommt man dort wohl nie wieder weg.

Doch auf dem Weg zum Büro ist in Huber die Gewissheit gereift, dass die DDos-Attacke so etwas wie ein Weckruf ist. Hätten die Angreifer ins Firmennetz eindringen und die Daten verschlüsseln können, wäre er zu einer Lösegeldzahlung gezwungen gewesen. Dazu kommt: Die Huber Space AG ist bei der Herstellung gewisser Satelliten-Komponenten weltweit führend und läuft so auch in eine erhöhte Gefahr, Opfer von Industriespionage zu werden.

 

Gedanken zur Familie

Der andere Eindruck, der Huber hat, ist privater Natur: Er solle im Februar mit Frau und Tochter in die Berge fahren. Obwohl er eigentlich nicht mitwollte, und in den Sportferien ein Treffen mit dem Verwaltungsrat anberaumt ist. Aber für diesen halben Tag kann er ja rasch nach Zürich fahren.

Heute Morgen ist Huber klar geworden, dass seine Ehe akut gefährdet ist. Natürlich kommt diese Erkenntnis nicht aus blauem Himmel. Ihm fällt schon länger auf, wie resigniert und schweigsam seine Frau geworden ist, nachdem sie zuvor nur noch herumgebitched hatte, wie er es nennt. Trotzdem: Noch gestern hätte Huber seinen Beziehungsstatus weniger drastisch beschrieben.

 

Stille vor dem Sturm

Im Unternehmen ist Huber der erste – wie immer seit dem Jahreswechsel. Er zieht sich in sein Büro zurück, wo er jetzt jeden Morgen eine Stunde den wirklich wichtigen Dingen widmet. Noch bevor ihn das unerbittliche Alltagsgeschäft und die verdammten E-Mails vor sich hertreiben. Das ist die Phase 4. Er studiert noch einmal die Unterlagen über die Migration in die Cloud und schreibt danach seiner IT-Verantwortlichen und dem Finanzchef eine Nachricht mit der Bitte, diesen wichtigen Entscheid unterschriftsreif vorzubereiten. Huber reserviert auch einen Tisch im Lieblingsrestaurant seiner Frau.

Danach fühlt er sich erleichtert, obwohl er noch immer viele Bälle in der Luft hat. Ja, die Liste mit potenziell wichtigen Weichenstellungen im Geschäft ist lang. Dazu kommt eine Reihe von privaten Sorgen: Nicht nur seine Frau ist unglücklich. Seine Tochter ritzt sich, sie will aber weder darüber reden, noch in eine Therapie.

 

Hoffnung für einen lausigen Geschäftsführer

Der Unternehmer ist ein Bedenkenträger: Entscheide zu treffen, war noch nie seine Stärke. Huber schiebt so viele Dinge vor sich her, dass er sich nur schon schwertut, diese zu priorisieren. Oder festzulegen, was er an seine Mitarbeiter delegieren kann. Kurz: Huber ist im Grunde ein lausiger CEO.

Doch nun überkommt ihn ein Gefühl von Hoffnung, dass ihm seine neue Morgenroutine helfen wird, Entscheide zu treffen. «Get Shit Done» – «Erledige den Mist»! So lautet sein Motto für 2025. Das Universum wird zu ihm sprechen. Und vielleicht gibt es dort draussen ja wirklich so etwas wie einen Schöpfer. 

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