Mobilität: Eine Reise nach Südkorea und zurück

Dieses Mal hat unser Autor seinen Beitrag in Busan an der koreanischen Pazifikküste verfasst. Hierhin hat ihn die diesjährige Konferenz des Committee on Space Research (COSPAR) geführt. Einmal alle zwei Jahre treffen sich Weltraumforscherinnen und -forscher aus aller Welt zu einer siebentägigen Konferenz. Man stellt seinen Kolleginnen und Kollegen die aktuellen Ergebnisse der Forschung vor – von der Erdatmosphäre bis zu fernen Galaxien –, man diskutiert neue Technologien, lotet eine mögliche Zusammenarbeit aus und trifft sich auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft. Eine Reise, die zu denken gibt.

(Lesezeit: 9 Minuten)

Hier in Busan an der COSPAR1 ist es tagsüber meist um die 30°C und sehr schwül, oft verbunden mit Regenschauern. Und wenn ich nachts aus der Stube meiner Herberge im 36. Stock eines Wolkenkratzers auf die Leuchtreklamen, die hell erleuchtete Brücke am Hafen und den Strassenverkehr blicke, höre ich innerlich die Filmmusik zu «Bladerunner»2, einer Dystopie, die in einem Spielfilm zeigt, wie man sich im 20. Jahrhundert das 21. Jahrhundert vorgestellt hat: mit unüberschaubaren Städten, einer zerstörten Umwelt, einer Kluft zwischen Arm und Reich ... und menschenähnlichen Robotern.

Gruppenfoto zur Feier des internationalen Mondtages (20. Juli) an der COSPAR-Konferenz (Bild: zVg)

Überlebensnotwendige Abkühlung

Selbst jetzt in der Nacht ist das Leben schwer erträglich ohne Klima-Anlage oder Ventilator. In Städten wie Busan oder Athen – wo die COSPAR-Konferenz vor 2 Jahren stattfand – ist die Klima-Anlage das geworden, was der Ofen unseren Eltern und Grosseltern im Winter auf dem Bauernhof bedeutet hatte: eine Überlebensnotwendigkeit. Heute muss man sich gut überlegen, wie viele Räume man sich leisten kann, die sich genügend herunterkühlen lassen.  

Weshalb also bin ich nach Südkorea geflogen und habe so meinen persönlichen CO2-Ausstoss dieses Jahr um etwa ein Drittel erhöht3? Ferienhalber habe ich zuletzt 2011 ein Flugzeug bestiegen, aber solange ich in der Forschung tätig bin, komme ich manchmal nicht umhin, auf einen anderen Kontinent zu reisen. Wir unternehmen an der Universität Bern und bei anderen Instituten schon seit Jahren unser Möglichstes, um Treffen online abzuhalten und das Reisekontingent zu beschränken – auch aus finanziellen und Effizienzgründen. Eine solche Konferenzwoche bedeutet, dass man Arbeitszeit für die eigentlichen Forschungsprojekte verliert. Für viele, die seit Jahren in der Forschung arbeiten, wecken Konferenzreisen mit langen Flügen oftmals eher Überdruss als Begeisterung.

Trotzdem sind solche Konferenzen in der Ferne manchmal unumgänglich: Hier kann man neue Leute kennenlernen, deren Mailanfrage ungelesen in der Flut von Spamnachrichten untergegangen wäre. Hier kann man langjährigen Forscherkollegen die wirklich wichtigen Dinge sagen, die man per Telefonferenz oder Mail nicht sagen könnte. Hier kann man sich als Forschungsgemeinschaft koordinieren, um in der Gesellschaft aktiv zu werden. So haben wir an der Konferenz beispielsweise die Nachhaltigkeitsprobleme der Weltraumfahrt erörtert: Wir brauchen als Gesellschaft einerseits Satelliten, um den Zustand unserer Erde zu beobachten, andererseits führt der zunehmende Weltraumverkehr beispielsweise vermehrt zu Weltraumschrott in der Erdumlaufbahn.

 

Wie viel Schaden ist der Nutzen wert?

Aber wie soll man Mobilität allgemein bewerten? Wie viel Umweltschäden ist der Nutzen unumgänglicher Mobilität im Allgemeinen und Flugreisen im Speziellen wert? Und wenn der Beruf zu einer umweltschädlichen Mobilität zwingt, sollte man dann diesen Beruf wechseln?  

Ich sage: Eigenverantwortung als Reisender ist wichtig, aber wir müssen auch das grosse Ganze sehen. Wir können dem einzelnen Forscher ein schlechtes Gewissen wegen seiner Flugreisen machen, wir können der Elektroinstallateurin ein schlechtes Gewissen verpassen, weil sie jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, da es in der Nähe ihres Arbeitsplatzes keine erschwingliche Wohnung mehr gibt. Aber damit haben wir bloss ein paar ohnmächtige Einzelpersonen geschaffen, die sich wegen ihrer Mobilität schämen, aber an ihren Umständen doch nichts ändern können. In ihrem Leben und in der Gesellschaft verändert sich nichts.

Wir müssen uns als Gemeinschaft – in der Politik, in der Kirche, in der Forschung – zusammensetzen und eine CO2-arme Mobilität umsetzen und zermürbende Mobilität wie Flugreisen zu überflüssigen Anlässen und Pendelverkehr durch produktive Ansätze überflüssig machen. Dies erreichen wir im Falle von Konferenzreisen, wenn wir die Anzahl Konferenzen reduzieren und pro Arbeitsgruppe nur 1-2 Vertreterinnen und Vertreter schicken. Um den Pendelverkehr zu reduzieren, braucht es unter anderem eine besser durchdachte, autofreie Siedlungsplanung. Für viele dieser systemischen Ansätze gilt, was der Physiker Andrew Dessler vom Texas Center for Climate Studies4 an der COSPAR auf die Frage antwortete, was uns denn noch daran hindere, Strom komplett ohne fossile Brennstoffe zu erzeugen: «Das ist keine Frage der Wissenschaft. Das ist keine Frage der Technik. Das ist eine Frage der Politik.»

 

Fliegen ist mühsam geworden

Nachtrag in Bern: Mit meinem Entscheid, ferienhalber nicht mehr zu fliegen, lebe ich sehr, sehr gut. Und das nicht nur aus ökologischen Gründen. Ich verstehe auch nicht, weshalb Klimakleber ihre Zeit damit verschwenden, den Flugbetrieb zu stören. Die Fluglinien und Flughafenbetreiber bringen Störungen professionell und ohne fremde Hilfe zustande. Ich habe den Eindruck, dass Flugreisen seit einigen Jahren noch mühsamer geworden sind: Man versucht, mit zu wenig Personal und unzureichender Infrastruktur noch mehr Passagiere und noch mehr Gepäck als vor der Pandemie von A nach B zu bringen.

Als Exempel für die Sommerreisezeit mag meine Reise nach Busan dienen: Erster Flug von Zürich aus nach drei Stunden Verzögerung ganz annulliert, dann auf einen Ersatzflug nach London umgeleitet, in London weitere drei Stunden Verspätung, weil der Flieger einen platten Reifen hatte. Schliesslich im Flughafen Incheon bei Seoul mit sechs Stunden Verspätung eingetroffen. Der aufgegebene Rucksack ist irgendwo in Europa auf der Strecke geblieben, wird mir aber immerhin zwei Tage später nachgeliefert. Auf dem Rückflug wieder fast eine Stunde Abgangsverspätung in Incheon, diesmal weil der chinesische Luftraum überlastet ist – der russische Luftraum ist seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschlossen; in München den Anschluss verpasst, umgebucht auf den Flug um 21 Uhr. Die 60 Minuten Durchschnittsverspätung aller Flüge nehme ich mit einer bösen Vorahnung zur Kenntnis. Schliesslich landen wir mit dem allerletzten Flieger um 23:39 Uhr in Zürich, 39 Minuten nach dem nominellen Beginn des Nachtflugverbots. Ich verbringe die Nacht bis zum ersten Zug um 5 Uhr morgens am Flughafen, da der letzte Zug nach Bern längst abgefahren ist. Und als ich durch die ausgestorbenen mitternächtlichen Hallen zur Gepäckausgabe wandle, vorbei an den verriegelten Shoppingtempeln, bestätigt sich meine Befürchtung, dass mein Rucksack wieder irgendwo auf der langen Reise verschollen ist. Dreieinhalb Tage später wird er dann zu mir nach Hause geliefert.

 

Der Blick von oben

Und noch etwas hat mir der 12-stündige Flug quer über Asien drastisch vor Augen geführt: Weite Landstriche unserer Erde sind wüst und leer. Da gibt es nicht nur natürliche Wüsten wie Gobi und Taklamakan und Karakum, sondern auch menschengemachte Wüsten wie entwaldete Hügelketten in China und die versalzene Einöde um den Aralsee.

Tragen wir Sorge, damit unser Planet für alle Menschen und Geschöpfe bewohnbar bleibt!

 

1 https://cosparhq.cnes.fr/  

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Blade_Runner

3 Detaillierter CO2-Rechner zu Automobilität und Flugreisen: https://co2.myclimate.org/de/calculate_emissions; einfacher CO2-Rechner zur Übersicht: https://sea-aku.ch/angebote/co2-rechner/

4 https://texasclimate.tamu.edu/about/index.html

5 Zeitungsartikel zum Aralsee, Stand 2021: https://www.nzz.ch/panorama/kein-ende-der-oeko-katastrophe-am-aralsee-in-sicht-nzz-ld.1662699

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