«Mir gönd na is Puff. Chunnsch au mit?» Kaum gesagt, machten sich ein gestandener Schweizer Berufsmann und sein erwachsener Sohn während eines mehrtägigen Branchenausflugs auf den Weg. Betroffen und kopfschüttelnd blieben die anderen Berufskollegen, darunter ein im christlichen Glauben verwurzelter Geschäftsmann, am Tisch zurück.
Szenenwechsel: Hochzeitsapéro vor einer Dorfkirche: Ein Männersportverein ist Spalier gestanden. Die Mitglieder, Schweizer Familienväter, diskutieren über die bevorstehende Jubiläumsreise. Im Reisecar gibt es noch freie Plätze, was einen der Männer zum Scherz verleitet: «Ist doch gut. So können wir unterwegs Frauen aufladen. Im Hotelbett hat es ja Platz.» Zustimmendes Gelächter in der Runde.
Ist für Sex bezahlen Sünde?
Zwei wahre Szenen in nicht allzu weiter Vergangenheit – geschehen in meinem persönlichen Umfeld. Sie sind vermutlich repräsentativ. Denn 902 Salons, Saunaclubs, Kontaktbars oder Escortservices in der Schweiz mit einem jährlichen Umsatz von bis zu einer Milliarde Franken wurden 2015 bei einer Studie gezählt. Übers Jahr verteilt befinden sich je nach Schätzung bis zu 20'000 Frauen in der Schweiz in der Prostitution, in einem Jahr seien 350'000 Männer mindestens einmal Freier.
Spätestens bei der Verteilung des Applauses anlässlich der kürzlichen SRF-Sternstunde Religion «Prostitution: Ist für Sex bezahlen Sünde?» und der anschliessenden Diskussion im Internet wird klar: Viele in der Schweiz denken, in dieser Angelegenheit sei alles in Butter: Hauptsache, die Männer gingen anständig, gut geduscht, gewaltfrei und nur zu «freiwillig» tätigen Prostituierten.
In meiner Jugendzeit befand sich um die Schweizer Grenze herum noch ein «Bordellgürtel». Ich wohnte an mehreren Orten unweit der Grenze und musste feststellen, dass unmittelbar nach den Grenzübergängen Bordelle mit grossen Leuchtreklamen für ihr Angebot warben. Mittlerweile sind solche Lokale schon längst auch in der Schweiz selbstverständlich geworden. So können Männer Fahrtweg sparen oder spontan «Gelegenheiten» am Schopf packen.
Und solche «Gelegenheiten» werden gepackt, und zwar immer härter. Dies zeigen veröffentlichte Berichte von Frauen, die in der Prostitution tätig sind. Sex muss nicht nur verfügbar, sondern oft auch brutal sein. Von Fessel-Spielen, Sado-Maso-Spielen ist da die Rede. Schläge, Würgegriffe. Gewalt, aber auch schon alle paar Minuten von einem anderen Mann begrabscht und penetriert zu werden, ertragen die meisten Frauen bald einmal nur mit Alkohol und Drogen. Da wundert es nicht, wenn sich eine mir bekannte und aufs Rotlichtmilieu spezialisierte Polizistin in einem Telefongespräch gegen die oft gehörte Behauptung wehrt, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere. Sie kennt die Spuren im Leben der Frauen, die fast alle unfreiwillig in die Prostitution geraten sind und den Ausweg bisher nicht geschafft haben.
Frauen helfen Frauen
Diese Spuren kennen auch alle, die sich in christlich geprägten Organisationen für Frauen in der Prostitution engagieren. Eine Geduldsarbeit, meist ehrenamtlich ausgeübt, ebenfalls von Frauen. Dazu gehören Besuchsdienste, Gespräche und das Anbieten von Ausstiegshilfen. Manche Behörden haben in den letzten Jahren den Wert erkannt, der in dieser Hilfe liegt, und dies auch punktuell honoriert. Wobei der Weg zum Ausstieg extrem schwierig ist und bisher nicht vielen gelingt: Diesen Frauen fehlen unter anderem mangels Deutschkenntnissen andere Erwerbsmöglichkeiten hier in der Schweiz, aber genauso auch Rückkehrperspektiven in ihrer Heimat. Sie sind innerlich zerbrochen und finanziell unter Druck, weil sie meist auch eine Familie in der Heimat unterstützen müssen.
In meiner Tätigkeit als IDEA-Redaktor hatte ich im Sommer 2023 Kontakt zu mehreren christlichen Milieu-Arbeiten. Mitten im Verarbeiten dieser Kontakte und beim Lesen der Berichte durchdrang mich ohne Vorwarnung ein Gedanke. Er wurde von niemandem an mich herangetragen, ausser wohl von Gott: «Da rackern sich Frauen aus christlicher Motivation ab, um Frauen in der Prostitution zu helfen. Was machen wir Männer, damit andere Männer ihr Glück nicht mehr im gekauften Sex suchen und zum Elend dieser Frauen beitragen?»
Wo bleiben die Männer?
Die Frage traf mich als Mann und Christ, nicht als Journalist. Kampagnen, die auf das Unrecht des Menschenhandels aufmerksam machen, gibt es bereits. Politische Vorstösse und Vereine mit der Forderung, Freier zu bestrafen, ebenfalls. Doch wie bei allen Strafandrohungen bleibt zumindest teilweise offen, wohin sich die Männer dann wenden sollen. Zu besser versteckter Prostitution? Zu Porno-Konsum?
Weder digitale Prostitution – so könnte man Pornographie auch nennen – noch besseres Duschen und das Hoffen darauf, dass Frauen freiwillig mitmachen, lösen meines Erachtens die Probleme wirklich.
Deshalb beschäftigen mich die Fragen: Wie können Männer direkt in ihrer Suche nach gekauftem Sex angesprochen und zum Nachdenken über ihr Leben angeleitet werden? Wie kann in Männern der Wunsch, frei zu sein, in Christus frei zu sein, geweckt werden, statt dass sie als Freier unterwegs sind? Und es beschäftigt mich, was aus meinem ersten kleinen Online-Schritt hin zu Freiern, zu dem ich von verschiedener Seite ermutigt wurde, wohl wird. Werden mit www.frei-statt-freier.net Männer statt zum Freier tatsächlich frei?
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