Stadtentwicklung: Herrnhut – Auch nach 300 Jahren nicht vergessen

Die kleine Stadt, die die Welt segnete: Das 1722 entstandene sächsische Städtchen Herrnhut nahe der deutsch-polnischen Grenze wurde zusammen mit zwei anderen von Herrnhut gegründeten Siedlungen in Bethlehem (Pennsylvania, USA, 1741) und in Gracehill (Nordirland, 1759) als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt. Jede der neu anerkannten Welterbestätten spiegelt die Architektur und den Städtebau von Herrnhut wider.

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Herrnhut (Bild: https://www.herrnhut.de/)

Geadelt wie Venedig, die Pyramiden von Gizeh oder der Taj Mahal: Man würde nicht erwarten, dass die Unesco Herrnhuts zentrale Rolle als Katalysator der modernen protestantischen Missionsbewegung anerkennt. Aber auf ihrer Website wird erklärt, dass eine Welterbestätte eine Kulturstätte mit «aussergewöhnlichem universellem Wert» ist. Sie muss so aussergewöhnlich sein, dass sie über nationale Grenzen hinausgeht und «von allgemeiner Bedeutung für heutige und künftige Generationen der gesamten Menschheit ist». Die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer, bezeichnete die länderübergreifende Welterbestätte als ein «starkes Zeichen», das den kulturellen und geistigen Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg symbolisiere. «Ich hoffe, dass diese besondere Welterbestätte noch lange eine verbindende Wirkung haben wird.»

 

Solidarische Idee des Christentums

Mit der Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe «würdigt die Unesco also eine christliche Erfolgsgeschichte. Die Organisation würdigt eine Freikirche, die eine solidarische Idee des Christentums vertritt», schreibt die deutsche Zeitung taz1 und weiter: «Es geht beim Welterbe Herrnhut über die Architektur hinaus, vor allem um eine wirkmächtige Idee aus dem 18. Jahrhundert: geprägt vom Pietismus, aber auch von der Aufklärung, die sich in einer neuen, modernen Stadtplanung manifestiert.

Es geht letztlich um das von Nikolaus Graf von Zinzendorf erneuerte Christentum, das heute als weltweit aktive Freikirche weiterlebt und seine Spuren auf allen Erdteilen hinterlassen hat.» Bis heute geben Herrnhuter die «Losungen» heraus. Das Andachtsbuch enthält Worte aus der Bibel für jeden Tag. Es erscheint in rund 60 Sprachen und hat weltweit eine Auflage von etwa 1,5 Millionen Exemplaren.

 

Von Flüchtlingen gegründet

Herrnhut wurde von Flüchtlingen gegründet, die vor der katholischen Gegenreformation in Böhmen und Mähren auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik flohen. Sie sind geistige Anhänger des Prager Reformators Jan Hus, der 1415 den Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen erlitt. Die Flüchtlinge betrachten sich als die erste wirklich protestantische Kirche, die noch vor Luther entstand. In Herrnhut entwickelte sich ab 1722 alles unter der inspirierenden Führung von Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, dem Gutsherrn des Anwesens. Er war von einer tiefen lutherisch-pietistischen Frömmigkeit geprägt. Zinzendorfs Gutsverwalter wies ihnen auf dessen Grund und Boden, unterhalb des Hutbergs, einen Platz zu, wo sie fortan leben sollten – unter der Hut des höchsten aller Hirten, des Herrn Jesus. Daher der Name Herrnhut.

1732 begann die Herrnhuter Gemeinde mit der Aussendung von Missionaren. Zinzendorf wies die Gesandten an, «Menschen zu sein, die andere fragen lassen: ‚Was für ein Gott macht Menschen wie euch?‘». Als er 1760 starb, hatten die Mährer mehr Missionare ausgesandt als alle anderen protestantischen Kirchen zusammen: nach Grönland, Lappland, Georgia in Amerika, in die Karibik, nach Surinam, Südafrika, Indien und viele andere Orte. «Heute leben die meisten der weltweit mehr als 1,2 Millionen Herrnhuter in Afrika», schreibt das MDR2.

 

Lebensstil von Dienen und Einheit

Herrnhut entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Ort für Handwerk und Handel, aber auch zum Zentrum einer global vernetzten, kirchlichen Erneuerungsbewegung. Wo immer sie sich niederliessen, gründeten die Mährer Missionsgemeinschaften, die in ihrem gemeinsamen Lebensstil Dienerschaft und Einheit zum Ausdruck brachten. Sie hielten auch regelmässig Liebesmahle und Fusswaschungszeremonien ab. Als Pioniere der Ökumene nahmen sie das Motto an: «Im Wesentlichen Einigkeit, im Unwesentlichen Freiheit, in allen Dingen Nächstenliebe.»

 

1 https://taz.de/Herrnhuter-Bruedergemeine/!6022760/

2 https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/bautzen/goerlitz-weisswasser-zittau/herrnhut-weltkulturerbe-entscheidung-unesco-100.html

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