Im März 2024 wurden zwei Berichte veröffentlicht: Der Bericht über die Einkommen und Lebensbedingungen in der Schweiz im Jahr 2022 des Bundesamtes für Statistik (BFS)1 und das «Familienbarometer 2024» der Pro Familia Schweiz zusammen mit der Versicherung Pax2. Diese Berichte führten zu Schlagzeilen wie diesen:
- «Armutsgefährdung in der Schweiz auf hohem Niveau»3
- «Armut in der Schweiz – Von Geldsorgen, Existenzangst und Schulden – Betroffene erzählen»4
- «Nationalrat will Kampf gegen Armut in der Schweiz verstärken»5
- «Die Hälfte aller Familien kommt nur knapp über die Runden»6
- «Blutet der Schweizer Mittelstand tatsächlich aus?»7
Die Fakten zur Armut in der Schweiz
Hier einige statistische Fakten zur Armut in der Schweiz aus der genannten Studie des BFS und von Caritas8:
- 0,7 Mio. Menschen (8,2 % der Schweizer Bevölkerung) leben in Armut. 100'000 Kinder sind direkt von Armut betroffen. 298'000 Menschen leben trotz Erwerbstätigkeit in Armut; sie werden als «working poors» bezeichnet.
- 1,34 Mio. Menschen (15,6 % der Schweizer Bevölkerung) sind armutsgefährdet. Sie leben knapp über der Armutsgrenze und haben kaum finanzielle Mittel, um unerwartete Ausgaben oder Kostensteigerungen zu bewältigen. 11 % der Haushalte mit Kindern haben (grosse) Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen9.
Auch die Schweiz hat seit dem Zweiten Weltkrieg ein ausserordentliches Wirtschaftswachstum erlebt und gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Darum ist es schwer zu verstehen und zu akzeptieren, dass so viele Menschen in der Schweiz arm sind oder sich finanziell unter Druck fühlen.
Der geschröpfte Mittelstand
Ob sich jemand arm fühlt, ist nicht nur von den reinen Fakten abhängig. Auch mittelständische Familien beklagen sich über knappe Finanzen. Das sind Familien mit einem Einkommen von monatlich CHF 8’400 bis 10’000 brutto, die sich notorisch pleite fühlen10. Reto Föllmi, Schweizer Professor für Volkswirtschaftslehre, nennt diese Personen «Vollzahler», ohne Verbilligungen bei Krankenkasse und Kita, ohne Anrecht auf vergünstigtes Wohnen und mit voller Steuerlast. Andere nennen diese Gruppe den «geschröpften Mittelstand».
Die klagende Oberschicht
Für Aufsehen hat das Jammern einer siebenköpfigen Familie mit einem Einkommen von CHF 157'000, einem Achtzimmerhaus, einer vermieteten Einliegerwohnung und zwei Elektroautos gesorgt11. Dies ist kein Einzelfall, sondern Teil einer Entwicklung, die weltweit mit dem Begriff «HENRY (high earner, not rich yet)» bezeichnet wird12. Damit sind Menschen gemeint, die zwar ein hohes Einkommen haben, sich aber dennoch knapp bei Kasse fühlen13. Und dies trotz (oder wohl eher wegen) ihres luxuriösen Lebensstils: Dazu gehören Reisen zu exklusiven Destinationen, Essen in angesagten Restaurants, Übernachten in Luxus-Hotels und trendige Designer-Klamotten. Die Betroffenen erklären ihren Konsumwahn gerne mit «Selbstfürsorge». Der wahre Grund ist aber der – vor allem auch über die sozialen Medien aufgebaute – Druck, mit anderen mithalten zu müssen.
Sogar richtig reiche Menschen beklagen sich über finanziellen Druck. Viel Geld zu verdienen oder in eine reiche Familie hineingeboren zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass man sich reich fühlt und gut mit Geld umgehen kann – tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall14.
Das Problem dahinter
Ganz offensichtlich ist die Wahrnehmung der persönlichen finanziellen Zufriedenheit und Freiheit weitgehend unabhängig von den tatsächlichen finanziellen Verhältnissen. Dies kann mit einer einfachen Frage illustriert werden. Was bevorzugen Sie:
A) Ein Jahreseinkommen von CHF 75’000, bei einem für die Lebenshaltung ausreichenden Durchschnittseinkommen von CHF 35'000?
B) Ein für die Lebenshaltung ausreichendes Jahreseinkommen von CHF 150'000, bei einem Durchschnittseinkommen von CHF 300'000?
Studien15 belegen, dass die meisten Menschen Option A wählen, weil das subjektive Wohlstands- und Glücksempfinden stark vom sozialen Vergleich abhängig ist. Dieses Phänomen ist im Alltag gut bekannt: Wer eine Gratifikation, einen Bonus oder eine Lohnerhöhung erhält, ist glücklich – aber nur bis bekannt wird, dass andere mehr erhalten haben. – Und es wird immer bekannt!
Dies weist auf ein typisch menschliches Problem hin: Vergleich und Neid. Der Vergleich macht die Zufriedenheit abhängig von anderen. Deren finanzielle Verhältnisse kennt man normalerweise nicht so genau, also versucht man, die eigenen Verhältnisse mit Konsum und Investitionen zu demonstrieren und damit die anderen zu übertreffen. Das ist dumm, denn schon aus logischen Gründen kann das niemals zufrieden machen, da sich in der Vergleichsgruppe, sei es Familie, Freundeskreis, Firma oder Verein, immer jemand findet, der sich mehr leisten kann. Vergleichen macht neidisch und unglücklich.
Wie gross das Problem des Vergleichens tatsächlich ist, zeigt sich daran, dass es von Gott zum Abschluss der «Zehn Gebote» angesprochen wird16. Er gebietet, nicht zu vergleichen und zu beneiden. Vergleichen kann zu Unzufriedenheit und Sünde führen .
Die Lösung
Der biblische Rat lautet, zufrieden zu sein, unabhängig von äusseren Umständen oder materiellem Besitz18. Die Bibel rät weiter und konkret, dem «Mammon»19 nicht zu dienen20, keine Schulden zu machen21 und nicht schnell22 reich werden zu wollen23, weil Materielles keinen ewigen Wert hat24 und vergänglich ist25. Zudem verspricht Gott die lebensnotwendige materielle Versorgung, wenn das Streben nach geistlichem statt materiellem Reichtum das Wichtigste in einem Leben ist26.
Solche biblische Aussagen passen gar nicht in unseren Zeitgeist. Sie werden auch innerhalb der Christenheit nicht oft und nicht gerne gehört und manchmal sogar mit Irrlehren wie dem «Wohlstandsevangelium»27 ins Gegenteil verkehrt. Dabei belegt die oben dargestellte Tatsache, dass materielle Sorgen sogar in der reichen Schweiz so präsent sind, wie recht die Bibel hat: Der Fokus auf das Materielle löst offensichtlich weder das seelische Bedürfnis nach Zufriedenheit, noch das geistliche nach Sinn, und in vielen Fällen nicht einmal das finanzielle Problem.
Der Lösungsweg des Zeitgeistes verläuft in die gegengesetzte Richtung zum biblischen Weg und lautet: Mehr ist immer besser. Wer nicht zufrieden ist, muss schneller rennen, mehr lernen, leisten, arbeiten, Geld verdienen. Das bringt gar nichts im Hamsterrad von «Haben wollen – vergleichen und beneiden – mehr haben Wollen». Im Gegenteil, dieses Rad, eigentlich ein Teufelskreis, dreht sich einfach immer schneller, was offensichtlich immer mehr Menschen physisch und vor allem auch psychisch krank macht – auch dazu gibt es viele erschreckende Statistiken zur Situation in der Schweiz.
Alternative Versuche, das Problem zu lösen, wie Teilzeitarbeit, Arbeitszeitverkürzungen, Lohnerhöhungen, Sport, Yoga, Meditation, Achtsamkeitskurse, Therapien, Medizin, legale und illegale Drogen sind nur Symptombekämpfung. Die Problemursache liegt, wie von der Bibel offenbart, tiefer: im vergleichenden menschlichen Herzen. Das individuelle Wohlstands- und Zufriedenheitsproblem kann deshalb auch nicht durch mehr Wirtschaftswachstum und Volkseinkommen gelöst werden, sondern nur durch eine biblisch erneuerte Denkweise28.
Deshalb: Lasst uns ein Licht anzünden und Salz streuen
Das zu erkennen, zu glauben und zu leben ist in unseren weltweit auf Gewinnmaximierung und Wettbewerb ausgerichteten Volkswirtschaften ausserordentlich schwierig geworden. Umso wichtiger ist es, dass Christen als Licht und Salz den biblischen Weg verkünden und ihn mit der eigenen Lebensführung sichtbar machen. Zufriedenheit – unabhängig von materiellem Besitz – und Vertrauen auf Gottes Fürsorge sind der Weg aus dem Teufelskreis, gerade auch in der stein- und scheinreichen Schweiz.
1 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.30905005.html
2 https://www.pax.ch/de/familienbarometer/home
3 https://www.caritas.ch/de/armutsgefaehrdung-in-der-schweiz-auf-hohem-niveau/
5 https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2024/20240314162938084194158159026_bsd156.aspx
7 https://www.bazonline.ch/armut-geht-dem-schweizer-mittelstand-das-geld-aus-780111608559
8 https://www.caritas.ch/de/armutsgefaehrdung-in-der-schweiz-auf-hohem-niveau/
11 https://www.bazonline.ch/armut-geht-dem-schweizer-mittelstand-das-geld-aus-780111608559
12 https://www.wsj.com/lifestyle/careers/high-earner-not-rich-yet-finances-fb8ae842
13 https://nypost.com/2019/10/23/millennials-only-making-100k-a-year-feel-strapped/
14 https://www.ft.com/content/a973a5a0-fa99-42dc-90c1-5f60615bed9a
15 Z.B. die Studien von Solnick und Hemenway (1998), Luttmer (2005), Clark, Frijters und Shields (2008)
16 2. Mose 20,17
17 Jakobus 3,16
18 Philipper 4,11-12
19 https://de.wikipedia.org/wiki/Mammon
20 Matthäus 6,24
21 Römer 13,8
22 Sprüche 28,20
23 1. Timotheus 6,9-10
24 Matthäus 6,19-21
25 1. Timotheus 6,6-8
26 Lukas 12,16-21
27 https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstandsevangelium
28 Römer 12,2
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