Mobilität: Wieviel Beweglichkeit brauchen wir?

Der Begriff «mobil» ist dem Lateinischen entnommen und bedeutet schlicht und einfach «beweglich». Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht «mobil» sein möchte! Mobilsein ist uns wichtig. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir in der Schweiz im Schnitt mehr Geld für die Mobilität ausgeben als für unser Essen.

(Lesezeit: 8 Minuten)

Vor einigen Tagen hörte ich eine Kollegin resümieren: «Ich muss nicht mehr unbedingt verreisen.» Ja, gewiss, wenn ihr Freundinnen von ihrem Urlaub am Mittelmeer erzählten oder von der Expedition zum Nordkap, klinge das schön und gut und interessant, aber sie selber habe das nicht mehr unbedingt nötig. Sie sei genug – und auch weit genug – gereist in ihrem Leben.

(Bild: Peter H auf Pixabay)

Wie wir uns heute bewegen

Manchmal muss man oder will man aber reisen, um an einer Tagung teilzunehmen, eine Cousine zu besuchen oder aus irgendeinem anderen Grund. So ergab es sich bei mir in diesem Jahr zwei Mal, dass ich mit dem Zug und der Fähre durch Europa reiste. Das funktionierte meistens tadellos, aber ein offensichtliches Problem blieb für mich bestehen: Wenn man nicht gerade ein grosser Zugfan ist, bleibt bei der Wahl des Reisemittels als Argument für den Zug oftmals nur die Ökologie. Wieso sonst sollte ich den Zug wählen, wenn ich an denselben Ort in der halben Zeit und zu einem Drittel des Preises – und ohne um Mitternacht mein Hotel in Hamburg suchen zu müssen – auch fliegen kann?

Ich weiss, ich weiss, Fliegen ist zu billig, profitiert von fehlender Treibstoffbesteuerung und anderen Subventionen. Wenn man die ökologischen Schäden in den Preis für das Flugticket einbauen würde, sähe der Preisvergleich anders aus. Die grundsätzlichere Frage ist natürlich, wie teuer oder billig Reisen überhaupt sein sollten. Und: Sollte die Mobilität für einkommensschwache Menschen verbilligt werden?    

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass bei der Schweizer Bevölkerung in der Regel nicht die Ferienreisen, sondern der alltägliche Freizeit- und Berufsverkehr für den Grossteil der jährlich zurückgelegten Kilometer und damit für die entsprechenden CO2-Emissionen verantwortlich sind. Genauer: Laut Schlussbericht des Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) von letztem Jahr war der Durchschnittsschweizer in den 2010-er Jahren pro Tag etwa 16 km für Freizeit, 10 km für Arbeit und Weiterbildung und 10 km für alle anderen Tätigkeiten – wie zum Beispiel das Einkaufen – unterwegs. Das ergibt über 35 km pro Tag, oder im Jahr etwa 13'000 km. Zwei Drittel wurden mittels dem «motorisierten Individualverkehr» sprich: mit dem Auto zurückgelegt!

Nun mag man als frommer Umweltaktivist die weitere Diskussion abwürgen mit dem Argument «Pendeln ist des Teufels»1. Und dann da wohnen, wo man arbeitet. Leider ist es aber nicht so einfach: Für viele sind die Wohnpreise in der Nähe ihres Arbeitsorts unerschwinglich. Damit sind sie zum Pendeln gezwungen, ob fromm oder nicht. Mobilität ist eben auch untrennbar damit verknüpft, wie wir arbeiten und wie wir unsere Siedlungen planen.

 

Problem Auto

Das Automobil hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts als revolutionäre aber auch zerstörende Neuerung herausgestellt. Es hat verändert, wie wir unsere Siedlungen planen. Der ursprüngliche Dreiklang Wohnen – Arbeiten – Freizeit tönt heute anders. Das Automobil hat beeinflusst, wie wir unsere Identität, unsere Individualität, unsere persönliche Freizeit und sogar unsere Freiheit definieren und ausleben. Die Automobilität hat viele der heutigen Umweltkrisen verstärkt. Dazu gehören die Klimakrise sowie der Verlust an Biodiversität, an Kulturland und Natur. Dahinter steht die Zersiedelung der Landschaft und das Betonieren grosser Flächen für Strassen, Garagen und Parkplätze. Diese Bauwerke müssen auf ein Maximum ausgelegt werden und bleiben daher einen Grossteil der Zeit leer und nutzlos.  

Es gibt technische Fortschritte bei der Automobilität und anderen Mobilitätsformen, die den Verbrauch an Energie pro Kilometer reduzieren. Elektrofahrzeuge sind in der Regel dann sinnvoll, wenn der Strom aus nachhaltigen Quellen kommt. Ich möchte hier mangels Platz aber nicht in die Details gehen oder gar Detailvorgaben machen, wie man ökologischer unterwegs sein könnte. Interessierte seien auf den detaillierten CO2-Rechner von myclimate verwiesen.

Doch, halt… um Antoine de Saint-Exupéry zu zitieren: «Je n’aime guère prendre le ton d’un moraliste», aber hier mache ich eine Ausnahme: «Hütet euch vor schweren und grossen Autos, den so genannten SUVs!» Wenn ich pro Kilometer und Kilogramm zwar weniger verbrauche, aber mir dafür ein schwereres, klobigeres Auto – egal ob Verbrenner, Hybrid oder Elektro – anschaffe, ist die schöne Einsparung nämlich wieder dahin. Ausserdem stellen SUVs eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmerinnen und für die eigenen Insassen dar, verstopfen enge Strassen und Siedlungen, und sie sind lächerlich ungeeignet für die meisten Anwendungen beim Autofahren, es sei denn, geneigter Leser, geneigte Leserin, Sie sind Försterin oder Alpwirt.

 

Vier Varianten für die Zukunft

Kehren wir zum grossen Ganzen zurück, zur Verkehrsperspektive 2050 des UVEK: Sie untersucht die Folgen von vier verschiedenen Zukunftsszenarien. Das langweiligste, aber leider nicht unplausibelste, ist das «Weiter wie bisher»-Szenario: «Nachhaltigkeit ist nicht das Hauptthema. So schreitet die Zersiedelung gedämpft weiter fort. Siedlungs- und Wohnformen bleiben unverändert und die Kosten für das eigene Auto relativ gering. Die Anzahl der Wege pro Person nimmt zwar wegen Homeoffice und Onlineshopping leicht ab – doch bleibt die Verkehrsmenge aufgrund vermehrter Freizeitwege auf einem ähnlichen Niveau wie heute.»

Die anderen Szenarien sind: Das Basis-Szenario, es ist etwas nachhaltiger als heute, dies aufgrund sich abzeichnender technologischer Entwicklungen und einem «starken Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt und dem sozialen Umfeld»; dazu kommt das Szenario «Individualisierte Gesellschaft»: hier steht die «technologisch unterstützte Selbstverwirklichung der Individuen im Vordergrund» und schliesslich das Szenario «Nachhaltige Gesellschaft».

Der Bericht des UVEK arbeitet mit diesen verschiedenen Szenarien im Sinne eines Wenn-dann-Ansatzes, sagt aber nichts dazu, wie wir ein anderes Szenario als das «Weiter-wie-bisher» anstreben können. Technologischer Fortschritt ist zu erwarten und gewiss hilfreich, aber wie das Beispiel der SUVs zeigt, ist er alleine nicht hinreichend, damit wir in eine nachhaltigere Zukunft unterwegs sind.  

Wir müssen uns deshalb die Frage gefallen lassen: Quo vadis – Wohin gehst du? Das heisst für uns heute genauer gesagt: Wohin gehen, fahren, fliegen wir? Und wozu wollen wir uns dorthin bewegen? Aus einer christlichen Sicht könnten wir auch fragen: Welches Verkehrsmittel würde Jesus wählen2? Was bewirkt meine Reise an Gutem für mich, für andere und für das Reich Gottes? Kann ich geistig beweglich bleiben, wenn ich physisch weniger oder zumindest weniger CO2-intensiv mobil bin?

 

1 Und natürlich auch Handlesen, Kartenlegen und Horoskope.

2 Jesus und seine Jünger hatten damals noch nicht die Wahl zwischen Fahrrad, U-Boot, Solargleiter, Privatjet, Auto oder SUV.  Aber Jesus schickte seine Jünger auf die Reise mit den Worten: «Ihr sollt nichts mit auf den Weg nehmen, weder Stab noch Tasche noch Brot noch Geld; es soll auch einer nicht zwei Hemden haben3

3 Lukas 9,3 (Luther, 2017)

 

Quellen:

Schweizerische Verkehrsperspektiven 2050, https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home/verkehr/zukunft-mobilitaet-schweiz.html

Detaillierter CO2-Rechner zu Automobilität und Flugreisen: https://co2.myclimate.org/de/calculate_emissions

Beachte auch den Artikel des Autors im Jahr 2022 über den grösseren Zusammenhang: https://christnet.ch/de/mobilitaet-auf-der-suche-nach-dem-verlorenen-mass/

Le petit prince, Antoine de Saint-Exupéry, 5. Kapitel: https://microtop.ca/lepetitprince/chapitre05.html

Not Just Bikes, Das Problem mit SUVs: https://www.youtube.com/watch?v=jN7mSXMruEo

Wikipedia-Eintrag zu «Quo vadis?» https://de.wikipedia.org/wiki/Quo_vadis%3F

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