Vor 10 Jahren hat die Schweizer Stimmbevölkerung das revidierte Raumplanungsgesetz zur Verhinderung der weiteren Zersiedelung mit deutlichem «Ja» angenommen. Seither hat sich einiges verändert. Die Kantone haben ihre diesbezüglichen Gesetze, Verordnungen und Richtpläne angepasst. Diese geben neu verschärfte Vorgaben für einen behutsameren Umgang mit der zunehmend beschränkten Ressource «Boden» vor. Dazu wird der Föderalismus der unabhängigen kommunalen Raumplanung eingeschränkt. Zum Teil liegen dazu bereits Bundesgerichtentscheide vor, welche diese Entwicklung stärken. Übergeordnete Raum- und Innenentwicklungen sind gefragt, wo zielführende Verfahren zunehmend nur noch mit einer integrativ ausgerichteten Zusammenarbeit und einer aktiven Partizipation mit allen Betroffenen zu erreichen sind.
Stärkung der regional ausgerichteten Raumentwicklung
Bereits in meiner 12-jährigen Tätigkeit als Stadtentwickler von Langenthal ist deutlich geworden, dass Stadtentwicklung sich zunehmend auch mit regionaler Raumentwicklung zu befassen hat. Als Leiter der Raumentwicklung der Region Oberaargau nehme ich nun in der täglichen Arbeit mit den Gemeinden der Region und ihrer Zentrumsstadt die sich verändernden Bedingungen in der Raumplanung konkret wahr. Diese beginnen sich positiv auf eine regional ausgerichtete Raumentwicklung auszuwirken. Um die anstehenden gemeinsamen Herausforderungen erfolgreich anzugehen, ist eine partizipative regionale Zusammenarbeit unumgänglich.
Unterschiedliche Schlüsselpersonen der Behörden «ins Boot» holen
In diesem Vorhaben sitzen die hierfür kommunal zuständigen Personen bereits im gleichen Boot – sprich: in den gleichen regionalen Gremien. Aber oftmals rudern sie mit ihrem Fokus auf die eigene Gemeinde das gemeinsame Boot rein individualistisch, im schlimmsten Fall sogar in gegensätzliche Richtungen. Kein Wunder, dass sich daher das Tempo der regionalen Entwicklung trotz vielen Anstrengungen oft in Grenzen hält. Dies gilt es bewusst zu machen und sich dann darauf auszurichten, dass das gemeinsame Rudern stärker in dieselbe Richtung führt. Hierfür sind gute Vorarbeiten und gemeinsame Vorgespräche wichtig, bevor mit dem Rudern angefangen wird.
Gemeindebehörden dort abholen, wo sie der Schuh drückt und dann gemeinsam weitergehen
Als zuständiger Leiter für die regionale Raumentwicklung von 44 Gemeinden des Oberaargaus ist für mich ein guter Kontakt zu den kommunalen Bezugspersonen von zentraler Bedeutung: Es sind dies die Gemeindepräsidien, die Ressortleitungen im Bereich Bau und Planung, die Verwaltungsleitungen und die Leitungen der Bauverwaltung. Da heisst es gut zuhören und verstehen, welche Fragen in der kommunalen Raumentwicklung im Vordergrund stehen. Zunehmend nehmen die kommunalen Gremien wahr, dass eine wie oftmals früher auf Eigensicht ausgerichtete dörfliche Raumentwicklung heute infolge der neuen Verordnungen nicht mehr zielführend ist. Sie werden neu praktisch «gezwungen», über ihre Gemeindegrenzen hinauszusehen und die grösseren Zusammenhänge verstehen zu lernen. Das tun sie jedoch nur, wenn ihre Anliegen und Herausforderungen von ihrem regionalen Gegenüber auch verstanden werden. Denn nur so sind sie wirklich zu einer konstruktiven und aktiven Zusammenarbeit bereit und für erweiterte Sichtweisen offen.
Gemeinden als Teil einer «grösseren Geschichte» verstehen lernen
Gleichzeitig ist regional eine gute Zusammenarbeit mit den interregionalen und kantonalen Fachkolleginnen und -kollegen zur regionalen Erarbeitung von kantonal und bundesseitig bedeutsamen Vorhaben wichtig. Nur so ist es möglich, namhafte finanzielle Mittel von Kanton und Bund in die Regionen zu transferieren. In der Beachtung dieser Bezüge zeigen sich Gelegenheiten, wie die bestehenden und neuen Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung der Gemeinden beansprucht werden können. Dies wiederum stärkt die Bereitschaft und Motivation für die kommunalen Gemeindebehörden, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen der anderen Gemeinden und der Region über die Gemeinde hinausführende grosse Raumentwicklungsvorhaben gemeinsam und engagiert anzugehen. Es wird klar, dass für die eigene Gemeinde plötzlich viel mehr möglich ist, als wenn man allein mit sich selbst unterwegs ist.
«Grössere Geschichten» basieren oft auf neuen Einsichten und Sichtweisen. Diese gilt es kommunikativ gut zu «erzählen», weil sich grössere regionale Raumentwicklungsvorhaben am Anfang normalerweise deutlich weiter weg vom kommunalen Alltag befinden. Hier hilft mir meine vergangene langjährige Lehrtätigkeit. Ich versuchte, meinen Studentinnen und Studenten immer wieder aufzuzeigen, wie ihre eigenen Arbeiten Teil eines viel grösseren Ganzen waren. Es war jeweils spannend für alle mitzuerleben, was am Ende des Semesters daraus entstand. Grundlegend war die Erfahrung, dass dieses gemeinsame Unterwegssein ganz andere Ergebnisse und Dynamiken auslösen konnte als eine reine Einzelarbeit.
Auf allen Ebenen immer wieder das Gleiche erzählen
Grosse Geschichten müssen immer wieder erzählt werden. Das gelingt am besten, wenn dieses Gespräch beim gemeinsamen Erarbeiten von Projekten stattfindet. Dabei kommen jeweils laufend neue Aspekte und Themen ins Gespräch, welche in einem andauernden Bearbeitungsprozess miteinander verknüpft werden müssen. So wird die gemeinsam erarbeitete Entwicklungsgeschichte mit der Zeit von den Teilnehmenden selbst weitererzählt. Sie erzählen ihren Teil der Geschichte und beginnen zu verstehen, wo die Schnittstellen sind und wo sich Teile der anderen in die eigene Geschichte einfügen.
Zum Beispiel: Partizipative Erarbeitung einer regionalen Gartenagglo
Vor vier Jahren stand die Erarbeitung des Agglomerationsprogramms der 4. Generation (AP4) des Bundes an. Die vorgängige Generation war noch erfolgreich als Agglomerationsprogramm Langenthal erarbeitet worden. Dieses Mal wollten wir aber nicht nur die Stadt, sondern unter der Federführung der Region auch die umliegenden Gemeinden mit ins Boot holen. Das AP4 sollte als Startrampe für eine neue regionale Entwicklungsgeschichte dienen.
In der Folge erarbeiteten die verantwortlichen Gemeindevertretungen in verschiedenen Workshops gemeinsam mit interdisziplinär zusammengestellten Planungsbüros ein neues Zukunftsbild der Agglomeration als neue Gartenagglo. Inspiriert wurde die neue Geschichte vom grössten Smaragdgebiet der Schweiz, in dem die angesprochene Agglomeration liegt. Gemeinsam diskutierten und verstanden die Teilnehmenden immer besser, dass unsere Agglomeration ein kultivierter Garten ist, wo das gemeinsame Leben von Mensch und Natur in vielfältiger Weise miteinander eng verwoben ist. Das zeichnet uns aus und das sollte unsere neue Identität als Agglomeration werden. Im Sommer 2021 wurden die Berichte zur Gartenagglo beim Bund erfolgreich eingereicht.
Im kürzlich veröffentlichten Prüfbericht des Bundes würdigt dieser den neuen Ansatz des Agglomerationsverständnisses. Als Folge davon hat er nun auch die umliegenden Dörfer als beitragsberechtigte Agglomerationsgemeinden für die nächste AP-Generation aufgenommen. Die Arbeit dazu haben wir bereits wieder gemeinsam begonnen und schon am Anfang des Erarbeitungsprozesses in zahlreichen Workshops die Folgegeschichte dazu gemeinsam gesponnen.
Auf der Grundlage der AP4 Gartenagglo-Erarbeitung hat der Bund (mit Beteiligung von acht Bundesämtern) 2020 im Themenbereich «Landschaft ist mehr wert» das von den Dörfern und der Stadt über den Smaragdverein eingereichte Modellvorhaben «Den Garten der Agglomeration Langenthal gemeinsam gestalten» zur Mitfinanzierung aufgenommen. Über die Dauer von vier Jahren erarbeiten die zuständigen Behörden und Fachbüros in wiederum zahlreichen gemeinsamen Workshops und Begehungen vor Ort das geplante Vorhaben. Spannende Projekte sind am Entstehen. Darüber hinaus etabliert sich eine regelmässige interkommunale und regionale Zusammenarbeit und Wertschätzung in vielfältigen Workshops zu unterschiedlichen Themenbereichen samt ihrer Vernetzung.
Weitere partizipative Vorhaben im regionalen Bereich sind in Bearbeitung: Die Erarbeitung des Regionalen Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzepts, das regionale Angebotskonzept, die regionale Velonetzplanung, die regionale Mountainbike-Routenplanung und die regionale Campingplatz-Strategie.
Die Fahrt im gemeinsamen Boot in dieselbe Richtung geht weiter!
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