Missverstandene Freiheiten

Das touristische Image der Stadt Amsterdam wird beherrscht von stereotypen Bildern «von Coffeeshops, Sextheatern, Fensterprostitution und eine missverstandene Vorstellung von Freiheit als Abwesenheit von Moral». Mit «Bleibt weg»-Videos soll dem unmoralischen Touristenstrom begegnet werden. Wir stellen vier Bücher vor, die zeigen, wie Moral und Freiheit wieder zusammenkommen können – nicht nur in Amsterdam, sondern auch in unsern Herzen. 

(Lesezeit: 9 Minuten

«Den unerwünschten Gästen nur 'Bleibt weg' zuzurufen, das funktioniert nicht», sagt Diederik Boomsma in einem Amsterdamer Café mit Blick auf eine Statue von Spinoza, dem Amsterdamer Vordenker der Toleranz. «Man muss auch das Angebot ändern.» Boomsma ist der einzige Christdemokrat im 45-köpfigen Gemeinderat, der von Sozialdemokraten, Grünen und Linksliberalen dominiert wird. Für ihn gibt es nur einen Weg gegen den unmoralischen Touristenstrom: «die Coffeeshops und den Rotlichtbezirk schliessen».

Vermutlich braucht es aber noch tiefer gehende Massnahmen, die politisch nicht verordnet werden können: Es braucht ein Umdenken, das mit dem Aufdecken von Lügen beginnt.

Jesus – Lamm und Löwe (Bild: jeffjacobs1990 auf Pixabay)

Typische Täuschungen, die unser Leben in die Enge treiben

So heisst der Untertitel zum Buch der Apologetin und Bloggerin Alisa Childers, das unter dem Motto «Leb deine Wahrheit – und andere Lügen» steht. J. Warner Wallace ist Kriminalbeamter und christlicher Apologet. Er schreibt zu diesem Buch: «In einer Welt der sozialen Medien, in der Memes einflussreicher sind als geistliche Vorbilder, ist es manchmal schwierig, den Lügen der Kultur zu widerstehen.» Die Autorin beginnt mit dem Zögern beim Liken und Teilen eines schön klingenden Zitates auf ihrem Social Media Kanal. Sie merkt, dass dieses Zitat schlicht nicht biblisch ist. Es ist eigentlich «eine nette kleine Lüge». Das gilt auch für den beliebten Spruch «Folge deinem Herzen«. Die Bloggerin erinnert sich an das letzte Mal, als sie einfach ihrem Herzen gefolgt war. «Wurde es da nicht in Stücke gerissen, und brauchte es nicht Jahre der Seelsorge, um wieder heil zu werden?» In einem frischen Stil klopft die Bloggerin beliebte Sprüche auf ihren tatsächlichen Klang ab und verschont dabei auch nicht fromme Floskeln wie «Gott möchte einfach nur, dass du glücklich bist». Ein provozierendes Buch einer jungen Frau, die sich von einem scheinbar progressiven Christentum verabschiedet hat.

 

Das Buch, das es heute schon fast nicht mehr geben darf

Praktizierte Homosexualität gehört zu den heute gängigen Freiheiten, die unterdessen sogar in christlichen Kreisen als «Schöpfungsvariante» abgenickt wird. Das sehen die 39 Frauen und Männer anders, die in diesem herausfordernden Buch zu Worte kommen. «Sie möchten ihren homoerotischen Empfindungen nicht das letzte Wort über ihren Lebensstil geben.» Menschen, die sich nach Veränderung ihrer Gefühle sehnen, stehen «quer zu queer» und haben es mit dieser Haltung heute schwer. Deshalb braucht es Mut, im Ringen um Identität und sexuelle Orientierung «zu erzählen, was ihnen widerfahren ist». 

Der Herausgeber Markus Hoffmann ist Entwicklungspsychologe. Er ist Leiter des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung. Die 39 vorgestellten Personen zeigen ein breites Bild von Empfindungen: zwei davon empfinden ausschliesslich homosexuell, einer empfand als 18-Jähriger homosexuell und heute «eher heterosexuell». Er hat sich in eine Frau verliebt und ist heute verheiratet. Eine früher sexuell missbrauchte Frau lebte zeitweise in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, fühlte sich damit aber nicht wohl, bis sie lernte, sich abzugrenzen und merkte, «dass sie bei Frauen eigentlich nicht-sexuelle Nähe sucht» und dies heute in der Gemeinschaft mit Frauen verwirklichen kann. 

Die geschilderten Lebenssituationen sind ganz unterschiedlich und passen nicht zum Bild des homosexuellen Menschen, wie es heute von den Medien vermittelt wird. Ihnen allen gemeinsam ist eines: Sie haben gelernt, «ihre homosexuellen Impulse, ob vergangen oder fortbestehend, als Aspekt ihres Lebens anzunehmen, ohne daraus einen Lebensstil oder eine homosexuelle oder queere Identität abzuleiten». Sie haben einen Weg gefunden, «ihren christlichen Glauben in Bezug auf ihre nicht-heterosexuelle Orientierung zu verstehen» und haben eine Lebensgestaltung gefunden, für die es laut dem Herausgeber «kein Vorbild gibt». Während unsere Politiker daran sind, im Bereich Homosexualität Denk- und Therapieverbote aufzugleisen1, finden wir hier einen differenzierteren Zugang zum Thema und einen Weg, der dem biblischen Menschenbild folgt. Deshalb ist es gut, dass es dieses Buch gibt.

 

Der unlogische Gott

«Die Welt, in der wir leben, konfrontiert uns täglich mit Ungereimtheiten und Widersprüchen, und auch unsere persönliche Existenz mutet uns fortwährend Rätsel und Fragezeichen zu», schreibt Pfr. Heiner Schubert von der Communität Don Camillo in seinem Kommentar über das neue Buch des Theologen Christoph Stücklin unter der Überschrift «Vielleicht genügt ein Amen». Mit diesem Buch lasse der Autor uns teilhaben an seinem Glauben, der ihn ein Leben lang begleitet habe. Stücklin habe Gott dabei in den Ungereimtheiten gesucht und gemerkt, dass der «Ich-bin-da»-Gott «verbindet, was wir nicht zusammenbekommen». Das Buch thematisiert einige Klassiker der biblischen Widersprüche wie Lamm und Löwe, Menschensohn und Gottessohn in Bezug auf Jesus, das Richten und Retten in Bezug auf Gott, das Fremdsein und Heimatsuchen oder das Dürfen und Müssen von gläubigen Menschen. Stücklin «kriecht dazu in die biblischen Texte hinein; zerlegt sie nicht mit kaltem Expertenblick und vorgefasster Meinung, sondern geht mit ihnen um, bis sie ihre Schätze vor ihm ausbreiten.» Er tut dies in einem erfrischend lockeren und erzählenden Ton, der auch komplizierte theologische Fragen für Otto und Anna Normalverbraucher verständlich macht – oder zumindest zu einem Amen – «So sei es» – führt.

 

Glaubenslehre statt Glaubensleere

Unsere Kirchen haben heute die wertvolle Aufgabe, die Grundlagen des Glaubens in einer postmodernen Welt der Beliebigkeit zu entfalten. Entsprechende Bücher sind heute wichtiger denn je. Da kommt die neu bearbeitete Gesamtausgabe der «Grundlagen des Glaubens» des Theologen Hans-Joachim Eckstein gerade richtig. Er vereint in sich das Komponieren, Texten und Veröffentlichen von neuen Liedern mit dem Publizieren von lyrischer und meditativer Literatur sowie von Sachbüchern. Dabei gelingt ihm «immer wieder der Brückenschlag zwischen Glauben und Denken, zwischen Universität und Gemeinde, zwischen Landeskirchen, Freikirchen und Gemeinschaften». Er spricht dabei auch Menschen an, «die sich dem Glauben gegenüber bisher eher distanziert empfanden». Der vorliegende Sammelband widerspiegelt diese Kombination aus Leichtigkeit in der Sprache, Sorgfalt in der Begründung und Weite der theologischen Sicht. Es ist eine anspruchsvolle, aber ansprechende Dogmatik für Neugierige, die im Zusammenhang oder nach thematischen Gesichtspunkten gelesen werden kann. Vielleicht die Grundlage für den nächsten Glaubenskurs in Ihrer Kirche?

 

1 https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-9-1-muessen-schwule-schwul-bleiben.html

 

Bibliografie

Alisa Childers: «Leb deine Wahrheit – und andere Lügen. Typische Täuschungen, die unser Leben in die Enge treiben.» Basel, 2023, Fontis-Verlag. Paperback, 240 Seiten. ISBN 978-3-03848-262-8, CHF 29.90, CHF 29.90

Markus Hoffmann (Hrsg.): «Weil ich es will. Homosexualität – Wandlungen – Identität. 39 Lebensberichte.» Basel, 2023, Fontis-Verlag. Paperback, 424 Seiten. ISBN 978-3-03848-258-1, CHF 44.90.

Christoph Stücklin: «Vielleicht genügt ein Amen. Der seltsamen Logik der Bibel trauen.» Basel, 2023, Friedrich Reinhardt Verlag. Paperback, 240 Seiten. ISBN 978-3-7245-2605-6, CHF 29.80

Hans-Joachim Eckstein: «Beziehungsgewiss. Grundlagen des Glaubens. Gesamtausgabe.» Holzgerlingen, 2023, SCM Verlag. Gebunden, 688 Seiten. ISBN 978-3-417-00066-5, CHF 41.90

 

Schreiben Sie einen Kommentar