Landwirtschaft: Essen nicht zur Religion machen

Essen ist zum Politikum geworden, manchmal schon zur Ersatzreligion. Besonders polemisch ist die Diskussion, ob man noch mit gutem Gewissen Milch trinken sowie Fleisch und Eier essen darf. Entsprechend sind Alternativen zu tierischen Produkten im Trend. Diese mögen einen ähnlichen bis fast identischen Geschmack haben; inhaltlich liefern sie jedoch meist etwas völlig anderes. Das zeigt ein genauer Blick auf das Trendprodukt Haferdrink.

(Lesezeit: 5 Minuten)

Die Kuh sei ein Klimakiller. Diese Meinung ist heute weit verbreitet. Deshalb werden immer mehr pflanzliche Ersatzprodukte entwickelt und mit viel Marketingaufwand als gut für die Umwelt propagiert. «Für die Umweltbilanz schauen wir CO2- und Wasser-Fussabdruck, Gewässerbelastung und Landnutzung an: Bei allem schneidet der Haferdrink besser ab als Kuhmilch (zum Beispiel 0,3 Kilo CO2 pro Liter Haferdrink, 1,3 bis 1,7 Kilo CO2 pro Liter Milch).» Das schreibt «Chrismon, das evangelische Magazin»1

(Bild: Pixel-Sepp auf Pixabay)

Fragwürdige Berechnungen

Die Emissionen pro Kilogramm eines Produkts anzugeben, ist jedoch wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So wird ignoriert, dass Haferdrink eine ganz andere Zusammensetzung hat als Kuhmilch. 1 Liter Haferdrink enthält laut der Schweizer Nährwertdatenbank 0,7 Gramm Protein2, ein Liter Kuhmilch 3,2 Gramm, also gut 4,5-mal mehr – und dieses ist erst noch von deutlich höherer biologischer Wertigkeit.

Für die Schweiz ist auch nicht relevant, dass für 2 dl Haferdrink 10 Liter Wasser, für die gleiche Menge Kuhmilch 200 Liter Wasser3 verbraucht werden. Denn in regenreichen Grünlandregionen wie dem Toggenburg oder dem Luzerner Hinterland ist Wasser kein kritischer Faktor.

 

Was im Hafer steckt

Hafer enthält effektiv namhafte Mengen an essenziellen Aminosäuren, an Mineralstoffen wie Kalium, Magnesium und Eisen sowie an Ballaststoffen. Im Hafergetränk ist jedoch nur noch ein Teil dieser Nährstoffe vorhanden. Denn für Haferdrink werden die Flocken in Wasser eingeweicht und püriert. Nach einer kurzen Fermentationsphase wird der Haferbrei gefiltert – und ein namhafter Teil des Hafers weggeschmissen. Bei der industriellen Verarbeitung werden anschliessend oft noch Zusatzstoffe wie etwa Kalzium oder Stabilisatoren hinzugefügt und das Produkt wird durch Ultrahocherhitzen haltbar gemacht4. Das ist für die Gesundheit nicht optimal. Denn es gilt die Regel: Je unverarbeiteter ein Lebensmittel, desto besser für die Gesundheit. Das zeigte die Lausanner Universitätsprofessorin Murielle Bochud im November 2021 an der Tagung «Brennpunkt Nahrung».

 

Ausserdem: Für Haferdrink muss Ackerland genutzt werden, das beschränkt vorhanden ist. Kuhmilch kommt in der Schweiz mehrheitlich von Wiesen und Weiden, deren Gras der Mensch direkt nicht verzehren kann. Zudem fressen Kühe Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung wie Zuckerrübenschnitzel. Weltweit stehen pro Person 4400 Quadratmeter Wiesen und Weiden und 2000 Quadratmeter Ackerfläche zur Verfügung.

Nicht zuletzt liefern Kühe Gülle und Mist. Mist kann nicht nur Mineraldünger ersetzen, dessen Herstellung viel Energie verbraucht. Er ist auch wertvoll für die Biodiversität. «Eine Tonne Kuhfladen pro Kuh und Monat bildet die Ernährungsgrundlage für ca. 20 Kilogramm Insektenbiomasse und davon ernährt sich wiederum 10 Kilogramm Vogel-Biomasse», erklärte Knut Schmidtke, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, an der Tagung «Brennpunkt Nahrung». Auch bindet Grasland CO2 – was in der CO2-Statistik aber nicht berücksichtigt wird. Die Schweizer Milchproduzenten kommen zum Schluss, dass Milch punkto Ernährung bis zu achtmal klimaschonender ist als ein Hafergetränk5

Ein Blick auf die unterschiedlichen Aussagen zeigt, dass es eine Spannweite von «Chrismon» bis zu den Milchproduzenten gibt. Die Frage, welche Auswirkungen ein Produkt auf die Schöpfung hat, ist aus meiner Sicht nicht messerscharf zu beantworten. Bei allen Angaben und Studien zur Umweltwirkung spielt immer eine Rolle, welche Aspekte einbezogen und welche weggelassen werden.

 

Sinnvolle Ernährung

Wer sich ressourcenschonend und klimafreundlich ernähren will, sollte sich nicht auf einzelne Produkte fixieren. Denn das hilft eher der Lebensmittelindustrie und dem Detailhandel als dem Klima.

Anstatt Milch und pflanzliche Alternativen gegeneinander auszuspielen, ist es zielführender, sich massvoll, vielseitig und abwechslungsreich zu ernähren, möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu kaufen und bei Früchten und Gemüse auf die Saison zu achten. Wer ausserdem noch möglichst wenig Lebensmittel wegwirft, hat schon viel für die Schöpfung und die eigene Gesundheit gemacht.

 

1  https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2022/52301/oekobilanz-von-haferdrink

2 https://naehrwertdaten.ch/de/search/#/food/331363 

https://naehrwertdaten.ch/de/search/#/food/331363

Haferdrink: 0,7 Gramm Protein

https://naehrwertdaten.ch/de/search/#/food/331227

Milch: 3,2 Gramm Protein, (Faktor 4,57)

3 https://www.nachhaltigleben.ch/vegan/hafermilch-warum-sie-alle-moegen-und-wie-gesund-sie-wirklich-ist-4941

4 https://utopia.de/ratgeber/hafermilch-haferdrink-milchersatz/

https://www.hafer-die-alleskoerner.de/ernaehrungsberatung/hafer-wissen/hafer-naehrstoffe

5 Broschüre «Die Mehrwerte der nachhaltigen Schweizer Milch», swissmilk, Oktober 2021

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Kommentare

Dominic Roser schreibt
am 6. September 2022
Sehr geehrte Frau Nüssli

Danke vielmals für Ihre Antwort! Ich schätze den Austausch -- und die Wichtigkeit des Themas verlangt es.

Zu zwei Punkten habe ich weitere Gedanken:

--- "Pro Person [stehen] 2000 Quadratmeter Ackerfläche und 4400 Quadratmeter Wiesen und Weiden zur Verfügung"
>> Wenn ich das richtig verstehe, so ist das der Status Quo. Dieser Status Quo kann aber verändert werden. Das scheint mir Sinn zu machen, denn der Status Quo verursacht ja Probleme, da das Übermass des Tierproduktekonsums nicht nachhaltig ist. Wir könnten einen Teil des Wiese- und Weidelandes ja langfristig in Ackerböden oder Wald zurückführen? Das heisst: wenn wir das Wiese- und Weideland nicht mehr für die Tierhaltung verwenden, dann ist es nicht einfach verschwendet. (In der Schweiz gibt es gewisse Gebiete, wo das schwierig ist, zB in den Bergen. Dort kann ein gewisses Mass an Nutztierhaltung durchaus Sinn machen, wenn man ein grundsätzliches Ja dazu hat, Tiere zu nutzen).

--- Haferbrei statt Hafermilch und Erbsen statt Proteinburger
>> Hm, ich sehe, was Sie sagen. Aber das Problem ist natürlich, dass ich gerne etwas Milchartiges in meine Cornflakes und meinen Kaffee tun würde (und eigentlich kein Bedürfnis nach Haferbrei habe :-D). Gegeben, dass ich versuche weniger Milchprodukte zu konsumieren, bin ich sehr froh, dass es Produkte wie Sojadrink gibt, die das Produkt, mit dem ich grossgeworden bin (Milch), simulieren. Ob es natürlich ist, ist mir egal, und ob es gesund ist, ist mir nicht besonders wichtig (plus: ich glaube, für die meisten von uns wäre es ja gesünder, wir würden etwas weniger Tierprodukte konsumieren). Noch mehr ist es bei den Erbsen so: ich habe ja kein Bedürfnis nach Erbsen (gegeben dass ich allgemein Gemüse nicht so gut mag), sondern nach Burger. Wenn es dank menschlicher Erfinderkraft möglich ist, Burger zu essen ohne Kühe halten zu müssen, so ist das für mich eigentlich sehr gut.
Edith Nüssli schreibt
am 2. September 2022
Sehr geehrter Herr Roser
Ich danke Ihnen für Ihren ausführlichen Kommentar. Ihre Vorwürfe, ich würde vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen und ich verschleiere etwas, kann ich nicht nachvollziehen.
Ich sehe keine Stelle in meinem Beitrag, in dem die Höhe des heutigen Milch- und Fleischkonsums verteidige oder für richtig halte. Ich plädiere in meinem Beitrag ausdrücklich für eine "massvolle" Ernährung und das gilt auch für Milchprodukte und Fleisch. Ich bezweifle jedoch den Wert für Umwelt und Gesundheit all der pflanzlichen Ersatzprodukte für Milch und Fleisch. Weshalb kocht man sich nicht einen Porridge, wenn man Hafer essen statt Kuhmilch trinken will? Weshalb braucht es ein verarbeitetes Produkt aus Erbsen, das aussieht und schmeckt wie Fleisch, wenn man sich auch ein feines Erbsengericht kochen und den pflanzlichen Proteinlieferant ohne zusätzliche Verarbeitungsschritte geniessen könnte?
Ich sehe in meinem Beitrag auch keinen HInweis, dass die Aufforderung, Essen nicht zur Religion zu machen, nur für eine bestimmte Gruppe gilt.
Tatsache ist, dass weltweit im Durchschnitt pro Person 2000 Quadratmeter Ackerfläche und 4400 Quadratmeter Wiesen und Weiden zur Verfügung stehen für Essen, Kleidung, etc.. Wäre es wirklich sinnvoll, die Wiesen und Weiden nicht für die menschliche Ernährung zu nutzen? Gras kann der Mensch bekanntlich nicht verdauen.
Dominic Roser schreibt
am 1. September 2022
Ich schätze, dass dieser Artikel aufzeigt, dass letztlich alles kompliziert ist und jede simple Regel Ausnahmen hat. Es ist tatsächlich nicht alles messerscharf, vor allem im Bereich Ernährung.

Aber: der Artikel sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Wenn es nämlich eine Regel gibt, die grobgesagt stimmt, dann das es für die Umwelt besser wäre, wir würden weniger Fleisch und Milchprodukte essen. Es ist eine der wirksamsten Lebensstiländerungen, die wir als Individuen vornehmen können (viel wichtiger als lokal oder bio zu essen). Jemand, der die Frage zB fundiert und faktenbasiert angeht, ist Matthias Plüss – und er sieht weniger Fleisch und Milch als sehr wirksamen Klimaschutz an (kurz zB hier: https://www.aargauerzeitung.ch/leben/so-lebt-es-sich-tatsachlich-klimafreundlich-ein-kleines-buchlein-ordnet-das-chaos-ld.2074395)

Der Artikel betreibt Augenwischerei, indem einfach einzelne Produkte und Produktionszusammenhänge herausgepickt werden, wo Tierprodukte grad gewisse Vorteile haben. Mit einer derart selektiven Vorgehensweise könnten Veganer auch zeigen, dass Tierprodukte sogar noch schlimmer sind als es “Chrismon” behauptet.

Hier ein paar Punkte, wo ich mit dem Artikel nicht einverstanden bin:

1. Man sollte Emissionen pro kg Protein und nicht pro kg Produkt messen
→ Das stimmt oft. Aber wenn man Emissionen pro kg Protein anschaut, dann kommt man zum Schluss, dass es enorm viel besser fürs Klima wäre, wir würden im Allgemeinen viel weniger Tierprodukte essen. Diese Graphik – die auch nicht von einer mächtigen Lobbyorganisation wie der Milchwirtschaft ist, sondern von einer unabhängigen Stelle – zeigt es überdeutlich: https://ourworldindata.org/grapher/ghg-per-protein-poore

2. Gesundheit und Umwelt als Kriterien
Mich stört es, dass Gesundheit und Umwelt vermischt werden. Was gut ist für die Gesundheit, muss noch lange nicht gut für die Umwelt sein – und umgekehrt. Beim Konsum von Tierprodukten ist es zwar so, dass es im Allgemeinen (mit vielen Ausnahmen!) *etwas besser* für die Gesundheit wäre, wir würden weniger Tierprodukte konsumieren und *viel besser* für die Umwelt wäre, wir würden weniger Tierprodukte konsumieren. Das heisst: es geht Hand in Hand. Das muss aber nicht immer so sein.
Dazu kommt, dass Gesundheit und Umwelt nicht auf der gleichen Stufe stehen. Sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, ist in vieler Hinsicht etwas Selbstbezogenes während Umweltschutz viel mehr mit Nächstenliebe zu tun.
Weiter kommt dazu, dass neben Gesundheit und Umwelt weitere Kriterien zählen! Auch das Tierwohl zählt und die Auswirkungen auf die Armut. Bezüglich Tierwohl und Armut wäre eine viel pflanzenbasiertere Ernährung ebenfalls deutlich besser.

3. Ernährung ist zur Religion geworden
Das ist einfach ein dummer Vorwurf. Natürlich gibt es viele Vegis, für die ihr Vegetarismus/Veganismus eine Identitäts-, Lifestyle- oder fast Religionssache geworden ist. Aber das ist wohl eine Minderheit? Sehr viele Menschen, die ihren Tierproduktekonsum reduzieren oder aufgeben, sind sehr pragmatisch. Sie tun es aus nüchterner Nächstenliebe, weil die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass es viel helfen würde, wenn wir uns pflanzlicher ernähren würde. (Und wenn schon, müsste man den Religionsvorwurf in beide Richtungen machen: all die Grillfanatiker und Landwirtschaftsverklärer sind auch nicht immer ganz nüchtern und pragmatisch).

Fazit: der Artikel verschleiert, dass es sich aus Umwelt- (und auch aus Tierwohl-, Armuts- und z.T. Gesundheits-) Perspektive tatsächlich lohnt, sich auf einzelne Produkte fixieren. Wir sollten tatsächlich Tierprodukte und pflanzliche Produkte gegeneinander ausspielen: tendenziell weniger von ersterem, tendenziell mehr von letzterem. Es gibt Ausnahmen und die Datenlage kann sich über die Zeit wieder ändern – aber zurzeit ist es klar.