Während die klassischen Tiefenpsychologen Sigmund Freud, Alfred Adler und C.G. Jung es noch als wünschenswert erachteten, «dass ein homosexuell Orientierter seine Homosexualität überwinden kann»1, traf die amerikanische Psychiatrische Vereinigung 1973 die Entscheidung, Homosexualität nicht mehr als Krankheit einzustufen2. Dieser Entscheid beruhte nicht auf neuen Erkenntnissen zur Homosexualität. Er war deshalb, so ist zu vermuten, nicht therapeutisch, sondern vor allem ideologisch und politisch bedingt. Angesichts einer langen Geschichte der Diskriminierung von Homosexuellen soll diese Kehrtwendung an dieser Stelle auch nicht in Frage gestellt werden.
Ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit umfasst auch die Ausnahmen
Wie wird heute Gesundheit überhaupt definiert? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sie so: «Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.» Diese Ausdehnung des Begriffes ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der Frage nach Krankheit bzw. Gesundheit.
In diesem Zusammenhang wird bzw. wurde in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD) von der «Ichdystonen Sexualorientierung» gesprochen: «Die Geschlechtsorientierung oder sexuelle Ausrichtung ist eindeutig, aber die betroffene Person hat den Wunsch, diese wäre wegen der damit verbundenen psychischen oder Verhaltensstörungen anders und unterzieht sich möglicherweise einer Behandlung, diese zu ändern3.» Diese Passage wurde später gestrichen.
Dass sich ein homosexuell empfindender Mann mit seiner Empfindung nicht wohlfühlen kann, ist heute also nicht mehr vorgesehen. Das passt zur Parole in Schwulen-Kreisen: «Einmal schwul, immer schwul» oder «Wer schwul ist, kann nichts dafür und nichts dagegen».
Tatsächlich ist in der Basler Standesinitiative zum Verbot von Konversionstherapien, die von der Rechtskommission des Nationalrates durchgewunken worden ist, diese Variante nicht vorgesehen. Im Sinne dieser Initiative sind Therapien nur dann gut, wenn sie den Betroffenen helfen, ihre Homosexualität zu stärken.
Dieser Standpunkt ist nachvollziehbar. Wer sich dazu entschlossen hat, zu seinem Schwulsein zu stehen und es allenfalls sogar öffentlich gemacht hat, möchte sich nicht durch Kollegen4 verunsichern lassen, die sich in ihrem Schwulsein unwohl fühlen und deshalb eine Begleitung wünschen, allenfalls sogar mit dem Ziel einer Veränderung.
Auf der anderen Seite lehrt uns die Entwicklungspsychologie, dass wir das, was wir heute geworden sind bzw. das, was wir morgen sein werden, das Ergebnis von kombinierten Einflüssen aus unserer Anlage und unserer Umwelt ist. Mal spielt die Anlage, mal das soziale Umfeld eine stärkere Rolle. Sobald wir diesem Ansatz folgen, gibt es Platz für Veränderungen, auch in diesem Bereich.
Ein Seitenblick auf die Transgender-Debatte
Werfen wir zum Vergleich unsern Blick auf eine andere Frage der menschlichen Sexualität – der Transgender-Thematik. Es gibt Menschen, die den Eindruck haben, dass sie im falschen Körper geboren wurden. Eine Frau fühlt sich beispielsweise zunehmend so, wie wenn sie ein Mann wäre.
Bekanntlich kann man in der Schweiz heute auf dem Zivilstandsamt ohne weiteres zumindest juristisch eine Geschlechtsumwandlung vollziehen: aus Petra wird mit einem Federstrich Peter. Schwieriger ist die körperliche und seelische Umwandlung des Geschlechtes. Da braucht es chemische und operative Nachhilfe. Für die Betroffenen ein schmerzhafter Prozess.
Dies gilt vor allem auch für jene, die sich früh in ihrer Identität verunsichern lassen und es später bereuen. So wie zum Beispiel Helena Kerschner5. Sie ging mit 15 Jahren durch eine Krise und verliess sich in dieser Zeit vor allem auf das Internet und die sozialen Medien. «Nur Trans-Leute stellen ihr Geschlecht in Frage. Wenn du also dein Gender hinterfragst, bedeutet das, dass du trans bist.» Das wurde ihr vermittelt. Mit 18 Jahren begann sie mit ersten Schritten zur Umwandlung ihres Geschlechtes. Um dann nach zwei Jahren zu merken, dass sie sich geirrt hatte. Da sie nur mit Testosteron behandelt worden war, ohne körperliche Eingriffe, fand sie «relativ unbeschädigt» den Weg zurück zur Bejahung ihres ursprünglichen Geschlechtes.
Wie fluid ist Homosexualität?
Die Einsicht, dass es zwei Geschlechter gibt – Mann und Frau – wird heute aus biologischer Sicht nicht ernsthaft in Frage gestellt: «Fortpflanzungsbiologen unterscheiden zwei Geschlechter – und zwar genau zwei.» So brachte es der emeritierte Professor für Mikrobielle Ökologie an der Technischen Universität München kürzlich auf den Punkt6. Homosexuell Empfindende sind schlicht Männer mit einem auf andere Männer fixierten sexuellen Empfinden.
Wer das Empfinden, ein Mann oder eine Frau zu sein, zumindest in Einzelfällen als fluid und damit veränderbar annimmt, liegt wahrscheinlich nicht immer falsch. Diese Fluidität müsste aber auch Homosexuellen zugestanden werden.
Aus rein sexueller Sicht betrachtet ist Homosexualität eine nur auf Männer bezogene sexuelle Identität, die im biologischen Sinne nicht fruchtbar sein kann. Im Vergleich zum heterosexuellen Empfinden muss deshalb von einer eingeschränkten Sexualität gesprochen werden. Dies ist keine diskriminierende Aussage, sondern die präzise Beschreibung einer Situation, ohne sie schön zu reden.
Diesen Lebensstil kann man gut oder schlecht finden, das ist Ansichtssache. Männer, die mit dieser Identität leben wollen, sollen dies ohne Diskriminierung tun können, und zwar in einem geordneten, juristisch auf ihre Situation ausgerichteten Rahmen7.
Männer, die sich in ihrer homosexuellen Empfindung aber nicht wohl fühlen, therapeutisch allein zu lassen oder nur mit einer einseitig ausgerichteten Therapie konfrontieren zu wollen, ist ein Eingriff in die Freiheit der Therapie-Wahl, oder noch deutlicher gesagt: eine Diskriminierung. Angesichts der Transgender-Praxis und der Annahme von zumindest teilweise fluiden Entwicklungen im geschlechtlichen Empfinden ist dies besonders stossend.
Was ist eine gute Therapie?
Trotz allem: Die Diskussion um «Konversionstherapien» hat ihre Berechtigung. Vor allem dort, wo es um die Qualität von «Therapien» geht. Hier gibt es vor allem zwei Kriterien. Therapien dürfen – wie in jedem anderen Bereich – nicht unter äusserem Druck geschehen. Sie müssen dem Willen des Betroffenen entsprechen. Und es dürfen zweitens keine falschen Versprechungen gemacht werden, etwa das Versprechen, dass eine Veränderung des Empfindens sozusagen garantiert ist.
Einschlägige Erfahrungen zeigen, dass es bei Männern, die sich in ihrem homosexuellen Empfinden nicht wohl fühlen, vor allem zwei therapeutische Ausgangssituationen gibt. Es gibt Klienten, die schon sehr früh auf Männer ausgerichtete Fantasien hatten und ein auf Frauen bezogenes Empfinden kaum entwickelt haben. Bei ihnen sind grundsätzliche Veränderungen selten.
Eine zweite Gruppe, glaubt oder befürchtet, in der Regel bedingt durch äussere Einflüsse, homosexuell zu sein. Hier kann eine therapeutische Begleitung zeigen, dass es sich um eine «normale» Verunsicherung im heterosexuellen Empfinden handelt, die bei der Entwicklung zur Heterosexualität dazugehören kann. Es ist davon auszugehen, dass es bei der Ausgangssituation noch weitere Varianten gibt.
«Konversionstherapie» ist streng genommen ein Schimpfwort, das wohl bewusst in den Titel der vorliegenden Basler Standesinitiative aufgenommen worden ist, um die erwünschte Polemik zu schüren.
Weniger ideologisch aufgeladen könnte man die alternative Therapie so zusammenfassen: Bei Männern, die sich in ihrem homosexuellen Empfinden unwohl fühlen und eine Veränderung wünschen, ist in jedem Fall ein sorgfältiges Vorgehen angebracht. So ist ein Begleiten im Umgang mit homosexuellen Empfindungen nur dann angemessen, wenn dies von den Betroffenen aus eigenem Antrieb gewünscht wird. Sinnvoll ist auch eine Unterstützung von Männern, die angesichts ihrer Homosexualität – vielleicht aus religiösen Gründen – ein sexuell enthaltsames Leben führen wollen. Manchmal kann es bei dieser therapeutischen Begleitung auch eine Veränderung der Empfindung geben. Mehr sollte nicht versprochen werden.
Deshalb: Wer sich für eine Therapie in diesem Sinne entschliesst, sollte, wie er dies bei jeder anderen Therapie machen würde, sorgfältig abklären, wem er sich anvertraut. Dasselbe gilt natürlich auch für die Qualität der Seelsorge in diesen Fragen.
Theologische Hintergrundgeräusche
Die Thematik hat auch eine theologische Seite. Sie kann im Rahmen dieses Beitrages nicht umfassend geklärt werden. Nur so viel: Der in der Debatte verwendete Begriff von Sünde ist meist unscharf und oberflächlich. In der Bibel ist Sünde weniger ein moralischer Begriff, sondern vielmehr ein Vergleich mit dem, was aus göttlicher Sicht sein sollte bzw. sein könnte. Sünder sind wir alle, egal wie wir sexuell ticken. Wir alle brauchen deshalb Erlösung, Korrektur und Neuausrichtung. Und dies nicht nur im sexuellen Bereich.
Die Bibel muss und kann – im Gegensatz zu andern «heiligen» Schriften – immer wieder neu ausgelegt werden. Dies geschieht primär durch die Kirche als Gemeinschaft der Christinnen und Christen. Und da gibt es bekanntlich unterschiedliche Meinungen. Originell ist der Versuch, Homosexualität als Schöpfungsvariante zu bezeichnen, wie dies auch in Verlautbarungen der Evangelischen Kirche Schweiz getan wurde. Dieser theologische Looping ist sicher gut gemeint, schliesslich möchte man niemanden diskriminieren. Es fehlt aber eine nachvollziehbare theologische Begründung dieser Neudefinition des Schöpfungsgeschehens. Die biblische Beschreibung ist eindeutig: Der Mensch wurde im Bild von Gott als Mann und Frau geschaffen – ohne weitere Varianten.
Mit gleichem Recht könnte man «behinderte» Menschen, die mit einer körperlichen oder seelischen Einschränkung leben müssen, als Schöpfungsvariante und ihre Einschränkung damit als gut bezeichnen. Sie würden sich für diese Schönfärberei wohl «bedanken». Als Mann oder Frau sind wir selbstverständlich alle Teil dieser Schöpfung. Sexuelle und andere Einschränkungen sind aber nicht Ausdruck der Schöpfungsordnung, sondern der Schöpfungsunordnung, in der wir heute alle leben.
Unsere Herausforderung ist es, uns in diesem ungeordneten Spannungsfeld zwischen Gut und Böse vom dreieinen Gott führen zu lassen. Dies im Wissen, dass nicht alles, was wir möchten, sofort zu haben ist. Dabei können wir auch lernen, mit Einschränkungen zu leben, die Gott für uns zu etwas Gutem formen kann, zumindest für unsere eigene Entwicklung.
Etwas seriöser hat sich die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) zu diesem Thema geäussert. Sie kommt zum Schluss, dass es in der Bibel nirgends eine positive Erwähnung der Homosexualität gibt. Von daher sind theologische Kurzschlüsse im Gegenwind des Zeitgeistes nicht angebracht. Gleichzeitig ist ein sorgfältiger und differenzierter Umgang mit Menschen gefragt, die mit dieser eingeschränkten Sexualität unterwegs sind.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem auch die Frage, wie eine christliche Gemeinde homosexuell empfindende Menschen, die sich auf den Weg des Glaubens machen wollen, in ihre Gemeinschaft aufnehmen will. Das wird und darf unterschiedlich geschehen.
Wichtig wäre aus meiner Sicht, dass dabei die sexuelle Ausrichtung weder schön geredet noch das biblische Bild von Mann und Frau ausgeblendet wird, ohne dass diese Menschen auf ihre Sexualität reduziert werden. Leitgebend sollte die Erkenntnis sein, dass Sexualität aus biblischer Sicht «in der exklusiven und auf Lebenszeit angelegten Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ihre eigentliche Bestimmung und Erfüllung»8 findet. Und im Wissen, dass «ein erfülltes Leben auch ohne sexuelle Beziehungen möglich»9 ist.
Zurück zur politischen Debatte
Wie also sollen unsere Politikerinnen und Politiker mit den Fragen rund um die Konversionstherapie umgehen? Zweifellos nicht so, wie dies mit der vorliegenden Initiative geschieht. Hier werden ideologische Positionen übernommen, ohne andere Standpunkte dazu wirklich ins Auge zu fassen, wie wenn die fachliche Diskussion über die Homosexualität schon abgeschlossen oder wirklich eindeutig wäre.
Die Freiheit, Therapien selber wählen zu können, wird mit der Initiative massiv verletzt. Dazu kommt ein grober Eingriff in die Religionsfreiheit, einem grundlegenden Menschenrecht. So will die Initiative in einem Rundumschlag alle, die sich ihrem Anliegen widersetzen, mit Ausübungsverboten belegen. Das gilt nicht nur für Ärztinnen und Ärzte, Sexualberaterinnen und Sexualberater, sondern auch für Coaches und Geistliche!
Die Sorge um falsch verstandene «Konversionstherapien» ist berechtigt, gerade auch im Zusammenhang mit Jugendlichen. Dass sich die Politik aber in eine Therapiediskussion einmischt und dabei gemäss der Initiative, festlegt, wie eine Therapie ausgehen muss, ist absurd. Die Initiative beschränkt das Spektrum so: «Vielmehr geht es darum, diese Menschen in ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität zu stärken10.»
Noch viel weniger sollte sich die Politik in die Auslegung der Bibel einmischen. Das kann sie getrost der kirchlichen Gemeinschaft überlassen. Und die hat damit genügend zu tun.
Kurz: Leider ist gut gemeint nicht immer gut. Das gilt auch für die vorliegende Standesinitiative des Kantons Basel Stadt. Aus dem Gutgemeinten könnte – wie in diesem Fall – sogar eine ungewollte Diskriminierung entstehen.
1 Hilliard, Russell und Gasser, Walter: «Homosexualität verstehen». 1998, Zürich, VBG-Verlag, S. 5
2 dito
3 so im Passus F66.1 der ICD-10, eine Formulierung, die in der ICD-11 fallen gelassen wurde
4 wir beschränken uns hier auf die männliche Homosexualität, weil die Stimmen aus dieser Richtung in der gesellschaftlichen Diskussion tonangebend sind
5 Internetportal «Livenet» vom 19.5.22
6 Medienmagazin PRO vom 2.8.22
7 ob dies mit dem Konstrukt «Ehe für alle» gelungen ist, wäre eine andere Diskussion, auch angesichts der daraus folgenden Verwicklungen wie Freigabe der Samenspende, Leihmutterschaft u.a.
8 SEA: «Umgang mit Beziehung, Sexualität und Gender-Fragen», S. 9
9 dito, S. 10
10 Standesinitiative «Verbot von Konversionstherapien in der Schweiz», siehe: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220311
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