Wenn die Weltlage bedrückt 

Unser Kolumnist Marcus Weiand arbeitet als Mitarbeiter des dortigen Bildungszentrums der Mennoniten auf dem «heiligen» Bienenberg, hoch über Liestal. Und fragt sich als Friedensaktivist, wo die heile Welt geblieben ist. Seine Antwort gipfelt in einem neuen Lied.

(Lesezeit: 5 Minuten)

«Manchmal wünsche ich mir ein bisschen heile Welt!», sagte letztens jemand aus tiefstem Herzen zu mir. Im Gespräch erinnerten wir uns zurück an die ersten Wochen des Lock-Downs in der Schweiz. Völlige Ungewissheit was werden würde. Der Betrieb geschlossen, alles still. Zu still. Wir erinnerten uns, wie sich Zukunftsangst breit machte. Es war eine harte Zeit, in der viele Menschen schwer krank wurden und nicht wenige starben. Der Zusammenbruch unserer Zivilisation war es allerdings nicht. Eine gewisse Beruhigung stellte sich dann bald wieder ein. 

(Bild: jplenio auf Pixabay)

Bilder, die schockieren

Der Ukraine-Krieg lässt die Ohnmacht und Angst wieder hervorkommen. Kürzlich fragte mich jemand besorgt, ob ich glaube, dass jetzt das Ende der Welt nahe sei. Ich war mir nicht sicher, welche Kompetenz mich zur Beantwortung einer solchen Frage berechtigen könnte. Vielleicht, weil mein Alltag darin besteht, mich mit Konflikten zu beschäftigen? «Nein», habe ich geantwortet und merkte gleich, wie eine kleine nagende Stimme in meinem Hinterkopf zischte: «Weisst du’s?!?»

Auch vor diesen Ereignissen haben Menschen Schweres durchgemacht: Krankheit, Unfälle, Arbeitslosigkeit, existenzbedrohende Konflikte – all das kann ein Leben schwer belasten. Vielleicht müsste man es so sagen: Die politische Grosswetterlage hat unsere Sorgen noch einmal auf ein anderes Stressniveau gehoben. Der Schock über die Bilder aus Bergamo im März 2020 und jetzt aus der Ukraine in einem noch grösseren Ausmass kann ein weit verbreitetes Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht hervorrufen. Wie sollen wir damit umgehen?

 

Blätter, Stamm und Wurzeln

Ich bin auf einen Artikel aus der Zeitschrift «Der Beobachter» vom März 2022 gestossen. Dort fragte sich ein Leser in der Rubrik «Psychologie», wie er mit seiner Wut und seiner Angst in Bezug auf den Ukraine-Krieg umgehen kann. Gerade, wenn er die sorgenvollen Fragen seiner Tochter mutig beantworten will.

Der Psychiater Thomas Ihde riet in seiner Antwort, Gefühle, Werte und Handlungen zu unterscheiden. Er verglich diese drei Begriffe mit einem Baum: Wenn der Sturm weht, kann der Baum schon einmal Blätter verlieren. Im Vergleich wären das die Gefühle und emotionalen Regungen. Viel wichtiger sind aber der Stamm und dessen Verwurzelung im Boden: Die Wurzeln stellen die Werte dar, die ein Mensch hat. Sie beschreiben, was einem Menschen grundlegend wichtig ist. Handlungen 

sollten sich an den Werten orientieren, nicht so sehr an den Gefühlen. Werte wie Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt und Mut können dazu führen, dass man sich dafür einsetzt, die Not zu lindern. Dass man sich als Familie und Freunde sagt: Da gehen wir gemeinsam durch, wir halten zusammen. So kann man einerseits zu seinen Ängsten und Sorgen stehen, ist aber andererseits nicht gelähmt.

Die weitreichende Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine zeigt, dass in dieser Not tief verankerte Werte in unserer Gesellschaft zum Tragen kommen. Diese Werte-Wurzeln werden zwar noch einiges aushalten müssen, wenn der Wind über einen längeren Zeitraum bläst. Auch wird es möglich sein, dass uns die Sorgen immer mal wieder überfluten, wenn der Konflikt nicht so bald abflaut. 

 

Wo ist Gott?

Für viele Christen stellt sich hier die Frage, wo denn eigentlich Gott in diesem ganzen Geschehen bleibt. Im Vorfeld des Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine wurde im ganzen Land und weltweit um Frieden gebetet. Seit Wochen sind viele tausende Gebetsgruppen rund um den Globus entstanden, die jeden Tag um Frieden und ein Ende der Gewalt beten. Gott, wo bist du?

In den letzten Tagen haben meine Bienenberg-Kollegen Dennis Thielmann und Karin Franz für den Bereich «Musik und Theologie» ein Lied mit einem Text von Vera Klaunzer herausgebracht, der genau auf diese Frage eingeht. Der Text gibt keine «Alles-Wird-Gut-Antwort» und macht gerade dadurch Mut. Dahinter steht die tiefe Überzeugung, dass die Verwurzelung in Gott auch im Sturm hält. Mögen wir als Christen – diesmal hoffentlich geeint – uns für die Hilfe an Notleidenden und gegen den Krieg einsetzen.

 

Wo bist du Gott?1

Wo bist du, Gott, wenn’s tief drin weh tut,

Wenn mein Blick eng wird, und nichts mehr geht?

Wo bist du dann, wenn Riesen aufstehn,

Mein Weg blockiert ist, das Licht ausgeht?

Ich schau mich um, seh’ nichts als Dunkel.

Mein Herz ist schwer. Die Seele weint.

Doch du bist der Immanuel,

Gott mit uns.

Ich halt dran fest.

Du warst und bleibst Immanuel,

Gott mit uns.

Du hältst auch jetzt.

 

1 Text: Vera Klaunzer
; Musik: Dennis Thielmann

Video: https://de.bienenberg.ch/fachstelle-musik-theologie

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