Die Stopp-Armut-Kampagne startete vor über 12 Jahren mit einem Reisessen auf dem Bundesplatz, zu dem sich einige Multiplikatoren aus dem Raum der evangelischen Allianz an einem langen Tisch versammelt hatten. Anlass dazu waren die UNO-Milleniums-Ziele, mit denen die weltweite Armut bis 2015 halbiert werden sollte. Da wollten die evangelikalen Kräfte nicht zurückstehen. An der Stopp-Armut-Konferenz von 2015 zeigte sich, dass es mehr oder weniger gelungen war, die extreme Armut gemäss der UNO-Definition1 zu halbieren.
Nun wurde die Latte mit den UNO Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Developement Goals, SDG) und der Agenda 2030 noch etwas höher gesetzt. Die Agenda definierte 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, von «keine Armut» und «kein Hunger» über «hochwertige Bildung» bis zu «Massnahmen zum Klimaschutz». Interaction, der Dachverband von rund 35 christlichen Hilfsorganisationen unter dem Dach der Evangelischen Allianz, machte daraus flugs God's Global Goals, die eigentlich bis 2030 erreicht werden sollten.
Zwischen Hoffen und Bangen
Daran knüpften die beiden Hauptreferate der diesjährigen Konferenz an. Sie gingen unterschiedlich mit der Thematik um. Lukas Amstutz, Leiter des Bildungszentrums Bienenberg und Co-Präsident der Konferenz der Mennoniten, sprach über die Hoffnung, die Gott seinen Leuten ins Herz gepflanzt hat. «Einerseits haben wir eine Vision eines erfüllten Lebens für alle vor Augen, biblisch gesprochen ein Leben 'in Fülle'. Diese biblische Vision weckt die Hoffnung, dass die Welt noch gerechter und friedlicher werden kann. Andererseits erleben wir, wie Mensch und Schöpfung verletzt, ausgebeutet und zerstört werden.» Amstutz sieht die Schöpfung als «Wohnung Gottes», nicht nur im Paradies am Anfang und im neuen Jerusalem am Ende der Zeiten, sondern auch in der Zeit dazwischen. Zur Note «sehr gut» für die Schöpfung «gehört auch, dass Gott der Menschheit zumutet, die Welt in seinem Sinne zu verwalten und damit den geschaffenen Lebensraum zu erhalten.» Der Schöpfer wolle in seiner Schöpfung zu Hause sein. Christinnen und Christen sollten deshalb helfen, dieses Zuhause zu gestalten. Ganz im Sinne des göttlichen Friedens, der alle Bereiche des Lebens umfasst.
Eva Schmassmann, Geschäftsführerin der Plattform Agenda 2030 – einem Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Akteure für die Umsetzung der SDG's in der Schweiz – zog eine ziemlich ernüchternde Bilanz im Blick auf die Umsetzung dieser Ziele, weltweit, aber auch in der Schweiz. Sie wies hin auf die in der Schweiz wieder steigende Armut, die verschlechterten Chancen von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt, den fortschreitenden Verlust von Biodiversität und die zunehmenden Siedlungsabfälle. Die Referentin glaubt nicht daran, dass die SDG's bis 2030 erreicht werden können. Sie forderte die Zuhörenden deshalb auf, nicht nur das persönliche Verhalten zu ändern, sondern auch als Zivilgesellschaft Massnahmen durchzusetzen, beginnend bei der eigenen Kirchgemeinde.
In der anschliessenden Podiumsdiskussion waren dann wieder etwas zuversichtlichere Töne zu hören. Der EVP-Mann Marc Jost wies darauf hin, dass seine Partei schon immer grün gewesen sei und belegte dies u.a. mit Aktivitäten seines ehemaligen Grossratskollegen und Solarpioniers Josef Jenni. Debora Alder-Gasser hat mit Freunden zusammen in Bern die Firma TEIL gegründet. Das ist ein Laden, in dem man Kleider nicht in erster Linie kauft, sondern leiht2. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Kirche ihre Jungen verlieren wird, wenn sie nicht nachhaltiger wird. Pastor Thomas Altwegg machte in seiner Freikirche die soziale Gerechtigkeit zu einem Schwerpunktthema und erlebt seither, wie ein Ruck durch die Gemeinde geht. Leitgebend war dabei der Just-People-Kurs von Stopp-Armut.
Und Lukas Amstutz hielt an seiner Hoffnung für die Welt fest. Für ihn stehen die beiden SDG's «Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen» sowie «Hochwertige Bildung» im Vordergrund. Auf Nachfrage betonte er, dass der Pazifismus trotz des derzeitigen Krieges in der Ukraine nicht gescheitert sei. Wer jetzt die grossflächige Aufrüstung fordere, müsse mit gleicher Kraft auch die Friedenserziehung und das Schulen von zivilem Widerstand fördern.
Herunterbrechen und Handeln
Der Eindruck, der nach der Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen Konferenz bleibt, ist zwiespältig. Einerseits war es erfreulich zu sehen, dass die Gründergeneration von Stopp-Armut nach und nach abgelöst wird: neben den grauen Häuptern waren auch viele jugendliche Gesichter zu sehen. Sie geben unterdessen bei Stopp-Armut den Ton an. Ich hätte mir noch etwas mehr konkrete Hoffnung gewünscht. Diese wird wohl am ehesten mit dem Herunterbrechen der hehren Anliegen in konkrete Projekte vor Ort spürbar.
Wie die Überforderung bei hohen Zielen verhindert werden kann, könnte etwa der am 20./21. Mai geplante und zum Thema passende Oberdiessbacher Nachhaltigkeitstag zeigen. Veranstalter sind die politische Gemeinde Oberdiessbach und der Dorfentwicklungsverein «Zäme für Oberdiessbach». An einer Plenumsveranstaltung wird am Freitagabend ein Energieberater der Regionalkonferenz Bern-Mittelland zeigen, wie die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden kann: weltweit und in der Schweiz, verbunden mit der Frage, was das für ein Dorf wie Oberdiessbach bzw. für Privatpersonen heisst und was wir politisch verändern müssen. In einem zweiten Referat soll es dann um die aktuelle Situation in Oberdiessbach gehen: Was wird schon gemacht, welche Potenziale gibt es und wie können diese genutzt werden? An Ideentischen zu den Bereichen Garten und Ernährung bis hin zur Mobilität und zur Gebäudetechnik soll dann ein Austausch stattfinden – zwischen Interessierten und Leuten aus dem Dorf, die hier schon gute Erfahrungen gemacht haben. Das Sahnehäubchen soll dann am Samstag folgen: mit dem Besuch von einigen der 17 Leuchtturm-Objekte im Dorf, die Umsetzungen vor Ort zeigen.
Solches Herunterbrechen gibt Mut. Das blitzte am Stopp-Armut-Tag bereits im Podiumsgespräch auf. Es ist zu hoffen, dass dies in der bis zum 1. April laufenden Vertiefungswoche der Stopp-Armut-Konferenz – oder spätestens in den Regionalgruppen – in ähnlicher Weise geschehen wird. Damit Gott mit seinen Zielen zum Zug kommt. Diese sind bekanntlich noch etwas umfassender und nachhaltiger als die SDG's der UN-Agenda 2030. Was nicht dagegen spricht, dass wir uns bereits heute für Werte einsetzen, die einmal ewig gelten werden.
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1 Als extrem arm galt zu Beginn der Kampagne, wer weniger als den Gegenwert von 1 US-Dollar pro Tag zum (Über-)Leben zur Verfügung hatte. Später wurde die Grenze auf 1,25 US-Dollar angehoben.
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