Migration: Was die Rückkehrzentren für abgewiesene Asylsuchende über uns aussagen

Mit Dänemark gibt es ein westliches Land, das eine noch restriktivere Migrationspolitik als die Schweiz kennt. Dass es syrischen Asylsuchenden den Aufenthaltsstatus entzieht und sie dann in Ausschaffungslagern verelenden lässt, ist überaus stossend. Die Schweiz sollte sich aber hüten, mit dem Finger auf Dänemark zu zeigen. Wir sind nicht besser.

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Die NZZ am Sonntag berichtet in ihrer Ausgabe vom 16. Januar 2022 über die harte Linie Dänemarks gegenüber syrischen Flüchtlingen: «Dänemark behauptet auf der Grundlage einer Einschätzung seiner Immigrationsbehörden, es sei sicher, Flüchtlinge aus Damaskus und Umgebung in ihr Land zurückzuschicken.» Sobald ihnen die dänische Regierung das Aufenthaltsrecht entzogen hat, werden sie in Abschiebezentren geschickt. Da Dänemark kein Rücknahmeabkommen mit Syrien kennt und auch keine diplomatischen Beziehungen zu diesem Land unterhält, kann allerdings niemand zwangsweise zurückgeführt werden. Eine Rückkehr auf freiwilliger Basis ist sowieso kein Thema: Wer wirft sich schon aus freien Stücken in den Rachen des grausamen Assad-Regimes? 

Bild: Haydenggg auf Pixabay

Dänische Ausschaffungslager

Es bleibt das Ausschaffungslager. Damit setzt Dänemark auf eine «mentale Kriegsführung». Man will Asylsuchende zermürben, um sie zur Ausreise zu bewegen, zumindest in ein europäisches Nachbarland. Diese Strategie wurde auch in Brüssel registriert. EU-Abgeordnete kritisieren deshalb, Dänemark entziehe sich seiner Verantwortung, weil seine Rückführungspolitik bewirke, dass die Menschen in anderen EU-Ländern Schutz suchten. Die EU prangert zudem an, dass Dänemark das im Völkerrecht verankerte Refoulement-Verbot verletze, den Grundsatz also, dass es keine Rückweisung geben darf in Länder, in denen Folter oder Tod drohen.

 

Rückkehrzentren in der Schweiz

Die Schweiz sollte sich aber hüten, mit dem Finger auf Dänemark zu zeigen. In der Schweiz sind es nicht syrische sondern afghanische, eritreische oder tibetische Asylsuchende, die seit Jahren unter der Repression leiden, die sich Nothilfe nennt. Seit Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes per 1. März 2019 werden diese Menschen in immer mehr Kantonen in Rückkehrzentren platziert, die Fragen aufwerfen. Schon vor der Pandemie anfangs 2020 lebten fast drei Viertel aller Abgewiesenen seit über einem Jahr unter den prekären Bedingungen dieser Zentren. Ein solches Leben wäre bloss für wenige Tage oder Wochen vorgesehen und ist nur als Kurzaufenthalt grund- und menschenrechtskonform.

 

... und ihre Vorgeschichte

Im Jahr 2008 wurde in der Schweiz das Nothilferegime eingerichtet. Das Schweizer Volk begrüsste die Grundlage dafür – das vom damaligen Justizminister Christoph Blocher verschärfte Asylgesetz. Künftig sollten alle Asylsuchende mit einem negativen Asylentscheid von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden. Das Nothilferegime sollte diese ablösen. Seither erhalten Einzelpersonen für ihren Lebensunterhalt ungefähr einen Viertel des Geldes der normalen Sozialhilfe.

Ein weiteres Plebiszit im Jahr 2016 brachte zwar Verbesserungen für Flüchtlinge, akzentuierte aber die Not der Abgewiesenen. Das neue Asylgesetz enthält gute Ansätze wie schnellere Verfahren und eine unentgeltliche Rechtsvertretung. Wer einen positiven Asylentscheid erhält, soll gefördert und rasch integriert werden. Wer einen negativen Entscheid erhält, soll baldmöglichst zurückreisen – mit einem kurzen Zwischenhalt im Ausschaffungslager. Auf dem Papier ist das eine saubere und stimmige Lösung, ganz nach dem Motto «Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen». Die Realität spricht aber eine andere Sprache: Menschen sind keine formbare Gestaltungsmasse, die sich nach Belieben verwalten lässt.

 

Die heutige Realität in Rückkehrzentren

Weshalb ist die Idee der Rückkehrzentren aus heutiger Sicht vollkommen unausgereift? Wenn Asylsuchende nach einem Negativentschied rasch zurückreisen können, ist ein solches «Durchgangszentrum» menschenrechtlich gesehen akzeptabel. Das gilt für Personengruppen aus gewissen Maghrebstaaten, einigen zentralafrikanischen und verschiedenen asiatischen Ländern. Sobald aber erschwerte Rückkehrbedingungen bestehen und sich der Aufenthalt im Ausschaffungszentrum über Monate und Jahre hinzieht, entsteht eine zunehmend prekäre Situation. Wer über lange Zeit nicht arbeiten darf und keine Ausbildung machen kann, wer mit äusserst knappen finanziellen Mitteln leben muss und keinerlei Lebensperspektive hat, erleidet psychische und physische Gesundheitsschäden.

Wie wir mit «Langzeitfällen» umgehen

Langzeitfälle in der Nothilfe sind vor allem Personen mit schwierigen Rückkehrbedingungen. Wenn Länder Rückübernahmeabkommen verweigern, ist das häufig dem Umstand fehlender minimaler rechtsstaatlicher Strukturen geschuldet. Diesem Zusammenhang tragen unsere Asylbehörden keine Rechnung. Sie pochen auf die Gleichbehandlung aller Abgewiesenen, was mehr bürokratischer Bequemlichkeit als einer realistischen Einschätzung der Verhältnisse entspricht.

Noch immer leben in den Schweizer Rückkehrzentren afghanische Asylsuchende mit einem Negativentscheid. Eine Rückschaffung ist unzulässig und darüber hinaus technisch unmöglich. Leider unternimmt das Staatssekretariat für Migration selbst keine aktiven Anstrengungen, um diese Menschen aus dem schleichenden sozialen Tod zu befreien.

Für abgewiesene äthiopische und eritreische Asylsuchende ist eine Rückkehr in ihr Herkunftsland im Moment unzumutbar. In Äthiopien herrscht Bürgerkrieg, in welchen auch Eritrea involviert ist. Eritrea selbst leidet noch immer unter der Herrschaft des eritreischen Diktators Isayas Afewerki, verbunden mit zahllosen Menschenrechtsverletzungen. An diesem Regime hat sich in den vergangenen Jahren wirklich nichts verändert oder gar verbessert. Mehrere Hundert tibetische oder exiltibetische Asylsuchende leben seit Jahren, manche seit über 10 Jahren, in der verzweifelten und ausweglosen Situation der Nothilfe.

Die langjährige Verwahrung in Rückreisezentren und die damit verbundene menschenunwürdige Behandlung zehrt an der Gesundheit der Betroffenen. Nothilfe beziehen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch viele Familien, Frauen und Kinder!

 

Was heisst das für christlich gesinnte Menschen?

Menschen über Monate und Jahre in eine Situation völliger Verzweiflung zu stossen, widerspricht den christlichen Grundwerten, den «core values» des Evangeliums. Auch wer realpolitisch orientiert ist und eine harte asylpolitische Linie fährt, wird erkennen, dass eine solche Praxis dem christlichen Gebot zur Barmherzigkeit widerspricht.

Bereits das über 2‘500 Jahre alte Bibelwort aus den Gesetzbüchern des Mose appelliert an einen menschlichen Umgang mit Fremden: «Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn auch ihr seid Fremdlinge gewesen in Ägypten1.» In diesem Wort liegt ein doppelter Appell: Fremde sind Menschen wie wir mit einem Recht auf Menschenwürde. Behandeln wir sie deshalb mit Anstand, denn nicht nur ihr Glück, sondern auch unser Lebensglück ist brüchig. Auch wenn niemand von uns Fremdling in Ägypten war, ist ein Leben in Würde ein Geschenk, das wir auch andern ermöglichen sollten! Wer eine Gruppe von Menschen ihrer Würde beraubt, stellt die Würde aller Menschen in Frage und öffnet die Schleusen zu einem willkürlichen Umgang mit unbequemen Personen.

 

Fazit

Das Nothilferegime und die damit verbundene Idee der Rückkehrzentren sind durch demokratisch legitimierte Entscheide entstanden. Bloss wusste damals noch niemand, dass die Rückkehrzentren dereinst ihren Namen nicht verdienen werden. Und hätte das Schweizer Volk erahnt, dass Familien, Frauen und Kinder über Monate und Jahre eine unmenschliche Behandlung erfahren und in diesen Zentren verelenden, hätte es anders entschieden. Niemand wusste damals, welche giftigen Früchte diese Idee dereinst tragen würde. Menschen werden sozusagen «entsorgt». Das ist eine völlig unzumutbare Situation, die auf nationaler Ebene möglichst rasch einer Korrektur bedarf.

Der verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman hat in seinem Aufsatz «Das Jahrhundert der Lager?» das Lager als ein Symptom der Moderne bezeichnet. Für ihn ist gerade das Zusammenspiel von Ausgrenzungsbrutalität und gärtnerhafter Ordnungseffizienz kennzeichnend für unsere Zeit. Zygmunt Bauman zeigte in seiner Analyse den oftmals dünnen Anstrich der Zivilisation über der Barbarei.

 

1 3. Mose 19,33f 

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