Rasche Fortschritte
Ein Deepfake-Video kann den Auftritt und Dialog einer Person zeigen, der so nie stattgefunden hat. Fälscher können Audio- und Videoaufnahmen so verändern, dass beliebige echte Personen in einer Situation erscheinen, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat. Eine Tagesschausprecherin könnte also, ohne das zu wollen, glaubhaft den Tod einer bekannten Persönlichkeit verkünden, obwohl diese Person immer noch quicklebendig ist.
Die «Fortschritte» im Erstellen dieser Deepfakes sind enorm. Sie sind auf die riesigen Entwicklungsschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz zurückzuführen, kombiniert mit dem maschinellen Lernen und der Anwendung von neuronalen Netzwerken. Die Qualität solcher Fälschungen hängt dann aber massgeblich von der Menge des echten Bild- und Tonmaterials der zu fälschenden Person ab. Daten dieser Art haben – insbesondere für bekannte Persönlichkeiten – stark zugenommen. Es ist davon auszugehen, dass auch für den geübten Beobachter solche Fälschungen in naher Zukunft nicht mehr sofort als solche zu erkennen sind. Gleichzeitig wird auf der technischen Seite auch schon daran gearbeitet, solche Deepfakes automatisch zu erkennen.
Es ist unschwer zu sehen, dass solch realistische Fälschungen enorm schaden können. Wenn man eine Person gefälschte rassistische oder antisemitische Aussagen machen lässt, könnte die empörte Öffentlichkeit diese Person zum Rückzug aus einem politischen Amt zwingen. Ein Staatspräsident, der mit einem gefälschten Video glaubhaft als unzurechnungsfähig hingestellt wird, könnte eine globale Krise auslösen. Wie bei allen Fälschungen können insbesondere kleine Veränderungen, die vom Inhalt her nicht sofort als absurd erscheinen, besonders heimtückisch wirken.
Bei nüchterner Betrachtung sind solche Fälschungen natürlich nichts Neues. Wenn mir jemand einen Text vorlegt, mit dem der zuständige Bundesrat die Abschaffung des öffentlichen Verkehrs ankündigt, wird mir, auch wenn die Zeilen mit seinem Namen unterschrieben sind, (hoffentlich) als erstes die Möglichkeit einer Fälschung durch den Kopf gehen. Gefälschte Texte gab es immer. Auch die Fälschung eines einzelnen Bildes sollte uns nicht (mehr) überraschen. Neu an diesen Deepfakes ist nicht die Fälschung, sondern die dafür verwendeten Medien – Audio und Video –, die bisher an sich als glaubwürdig eingestuft wurden.
Christlich reagieren und agieren
Christinnen und Christen können ganz unterschiedlich auf Deepfakes reagieren. Sie können besorgt die nächste ungute (technische) Entwicklung zur Kenntnis nehmen. Oder sie können sich auf ihre Stärken besinnen und im Bewusstsein dieser Stärke auf Christus selbst hinweisen. Christinnen und Christen sind nämlich in einer hervorragenden Lage, um nüchtern mit Deepfakes umzugehen.
Sie wissen schon mal, dass wir als Gesellschaft seit mehr als 2000 Jahren einer Verwirrungskampagne ausgesetzt sind, die von weit oben – oder allenfalls von weit unten – orchestriert wird. Nicht umsonst bedeutet das Wort Diabolos (Teufel) nichts anderes als «der Durcheinanderbringer». Zusätzlich versuchen uns immer wieder auch falsche Messiasse, vom Pfad der Tugend abzubringen. Gerade Christinnen und Christen wissen aus eigener Erfahrung , dass die subtilen Einflüsterungen die anspruchsvollsten sind.
Zudem steht ihnen ein bewährter Werkzeugkasten zur Verfügung, um auf solche Bedrohungen zu reagieren: Erstens suchen sie den Kontakt zum Original – zu Jesus Christus selbst. Mit Jesus ist eine Person ihr Gegenüber. Er sagt von sich, dass er die Wahrheit sei. Wer also nahe bei Jesus bleibt, ist ständig in Kontakt mit der Wahrheit. Jesus ist aber nicht einfach auf Knopfdruck verfügbar.
Darum haben alle, die lesen können, zweitens eine vertrauenswürdige Quelle: die Bibel. In diesem Buch kann sich Jesus ebenso offenbaren. Beim Studieren dieser Quellen haben Christinnen und Christen gelernt, die Bibel kanonisch zu verstehen: Sie gestalten ihr Leben also nicht aufgrund einzelner biblischer Verse, sie orientieren sich an der Gesamtheit der verschiedensten Texte dieser Bibel. Sie haben gelernt, die verschiedenen Textsorten und ihre unterschiedlichen Ansprüche richtig zu deuten. Dabei sind sie zu wahren Experten der Quellenbeurteilung geworden.
Das hat sie drittens dazu geführt, bewusst mit Gegensätzen umzugehen, mit dem Sowohl-als-auch. Die Bibel ist voller Spannungsfelder: Beten und Arbeiten, Gnade und Werke, das Gute und Schlechte im Menschen. Christinnen und Christen sind deshalb nicht erstaunt darüber, dass die Welt komplex ist. Sie sind nicht dem Schwarz-Weiss-Denken verhaftet. Und müssen Spannungsfelder nicht sofort auflösen können.
Viertens hat Jesus seine Nachfolgerinnen und Nachfolger gelehrt, im steten Austausch mit anderen Christinnen und Christen zu bleiben. Das ermutigt sie und lässt sie nicht einseitig in eine bestimmte Richtung abdriften.
Und fünftens sind Christinnen und Christen dazu gerufen, sich mit Menschen zu befassen, die nicht zu ihnen gehören, mit solchen, die ihnen fremd sind. Sie sollen in alle Welt hinausgehen. Das hilft ihnen, nicht in ihren wohligen Echokammern mit ihrem Verführungspotenzial gefangen zu bleiben.
Die Wahrheit fördern
Deshalb müssen die Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus im Angesicht von Deepfakes nicht ängstlich und unsicher werden. Die im Glaubensleben trainierten Fähigkeiten helfen ihnen, in einer unsicheren Welt eine Gelassenheit und Souveränität auszustrahlen, die nicht unbemerkt bleiben kann. «Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten», sagte einst der Religionsphilosoph Romano Guardini. Eine solche Gelassenheit und Sicherheit ist anziehend, gerade auch in der gegenwärtigen Krisensituation.
Deepfakes brauchen Christinnen und Christen also nicht nur als weiteres Signal einer «gefallenen» Welt zu deuten, sie geben ihnen die Möglichkeit, auf Jesus und seine unerschütterliche Wahrheit hinzuweisen – mit oder ohne Worte. Und sie werden gleichzeitig alles daransetzen, dass Fakes aufgedeckt und die Wahrheit auch im Internet (wieder) mehr Raum gewinnt.
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